Verfahren wie Datenanalysen und maschinelles Lernen spielen in den Life Sciences schon seit längerer Zeit eine wesentliche Rolle, gerade auch in Österreich. Nicht zuletzt die Österreichische Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT) arbeitet an der Vernetzung der einschlägigen Aktivitäten.
Bereits seit etwa einem Jahrzehnt sind Bioinformatik und Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) ein zentrales Thema in der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT). Und der Schwerpunkt liegt auf der Vernetzung der einschlägig aktiven Mitglieder, berichtet Thomas Rattei, der Stellvertretende Leiter des Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien, der im ÖGMBT-Vorstand für die Thematik zuständig ist. Rattei zufolge bemüht sich die ÖGMBT nicht zuletzt um den Austausch zwischen den Wissenschaftlern, die Methoden der AI entwickeln, und denen, die diese auf Forschungsfragen und Forschungsfelder anwenden. „Wir wollen als ÖGMBT Datenanalyse, maschinelles Lernen und andere Verfahren der AI in unserer Arbeit integrieren“, erläutert Rattei. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich die ÖGMBT bereits vor geraumer Zeit als eine der ersten österreichischen Forschungsgesellschaften der Thematik verschrieb. Ratteis eigene Forschungsgruppe etwa nutzt Methoden des maschinellen Lernens unter anderem, um Parameter für Vorhersagemodelle zu entwickeln und in der Folge Vorhersagen durchzuführen, nicht zuletzt, was den Phänotypus von Mikroorganismen oder das Zusammenwirken von Mikrobengemeinschaften betrifft. Bei sekretierten Proteinen werden Eigenschaften – im Bereich der AI als Features bezeichnet – erfasst, etwa die Häufigkeit von Aminosäuren sowie die Art der Faltung. Nützlich ist dies beispielsweise, um zu ermitteln, ob es sich bei einem im Abwasser aufgefundenen Mikroorganismus um einen neuen Krankheitserreger handelt, der das Gesundheitssystem vor Herausforderungen stellen könnte. Mit quantitativen Analysen wiederum befasst sich Nikolaus Fortelny, Zweigstellenleiter Nord und Vorstandsmitglied der ÖGMBT, der eine Arbeitsgruppe im Fachbereich Biowissenschaften der Paris-Lodron-Universität Salzburg leitet. Er und seine Kollegen ermitteln beispielsweise, wie viel RNA eines bestimmten Gens eine Zelle enthält, und versuchen, vom RNA-Level auf den Gehalt eines Proteins zu schließen. Auf diese Weise ist es möglich festzustellen, ob ein Patient an Krebs erkrankt ist, um welche Krebsart es sich handelt und wie weit die Krankheit fortgeschritten ist. Besondere Bedeutung legt Fortelny auf die Interpretierbarkeit der verwendeten Methoden der AI. Ihm zufolge nutzen die in der Molekularbiologie eingesetzten AI-Modelle sehr viele Parameter: „Deshalb ist es oft schwierig zu sagen, was ein Ergebnis, das uns die AI liefert, bedeutet. Aber wenn die AI etwas lernt, sollten wir auch verstehen, wie dieses Lernen funktioniert.“ Das sei nicht zuletzt eine Frage der Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit des mit A1 arbeitenden wissenschaftlichen Handelns.
Möglichkeiten und Grenzen
Eine Problematik, auf die auch Rattei hinweist. Letzten Endes gehe es um die Anwendbarkeit von Systemen der AI: „Da hilft natürlich, wenn erklärbar ist, was ein System leisten kann und was nicht.“ Nütz-lich sei stets, zwischen „Fleiß“ und „Intelligenz“ zu unterscheiden. Die AI, die mit ungeheuren Datenmengen arbeite, bringe einen „Fleiß“ auf, der den Arbeitseifer jedes Menschen zwangsläufig übersteige. Und das habe durchaus erhebliche Bedeutung im Zuge wissenschaftlicher Tätigkeit. Denn AI könne menschliche Forscher von Routinearbeiten entlasten und damit Ressourcen „für schöpferische Tätigkeiten, für die sie nach meinem Verständnis nicht geeignet ist“ frei machen. Es sei kaum vorstellbar, dass eine einschlägige Software „Alexander Fleming bei der Entwicklung des Penicillins hätte ersetzen können“. Denn sie agiere zumindest bis dato grundsätzlich innerhalb vorgegebener Regeln. Wissenschaft jedoch beschäftige sich „eben mit Bereichen, wo wir die Regeln noch nicht kennen“. Laut Fortelny besteht der „klassische“ Ansatz bei der Anwendung von AI-Programmen darin zu ermitteln, welche davon mit vielen Beispielen als Datengrundlage besser funktionieren. Der Mensch dagegen sei in der Lage, anhand weniger Beispiele Hypothesen über mögliche Zusammenhänge zu bilden – wie dies etwa Fleming bei der Entwicklung des Penicillins getan habe. Wie lange es dauern wird, bis AI über diese Art von Intelligenz verfügt und ob dies jemals der Fall sein wird, ist Fortelny zufolge kaum absehbar.
Daten-„ELIXIR“ für AI
Weil aber AI in ihren derzeitigen Formen für ihr Funktionieren auf große Datenmengen angewiesen ist, gewinnt gerade auch in der medizinischen Mikrobiologie der Austausch klinischer Daten und die dafür erforderliche Infrastruktur immer mehr an Bedeutung, betont Rattei: „Wenn jeder seine Daten in seinem Schreibtisch einsperrt, werden wir in Österreich nie zu einer vernünftigen AI kommen.“ Wichtig auf europäischer Ebene ist in dieser Hinsicht ELIXIR, eine von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten getragene Organisation, die Ressourcen im Bereich Life Sciences letztlich in einer einzigen Infrastruktur vernetzen soll. Österreich hat laut Rattei seit April vergangenen Jahres Beobachterstatus bei ELIXIR. Der Vollbeitritt ist für kommendes Jahr geplant. Ein wesentliches Thema bei der Datennutzung ist stets der Datenschutz. Genehmigt ein Patient die Verwendung seiner Daten für einen bestimmten Forschungszweck, dürfen diese nicht für andere Zwecke eingesetzt werden. Rattei zufolge ist das „kein Problem, sondern einfach eine der Randbedingungen, mit denen wir arbeiten“. Es gelte, Infrastrukturen zu schaffen, die die Einhaltung der datenschutzrechtli-chen Bestimmungen gewährleisten: „Sonst werden wir nie die Zustimmung der Patienten bekommen.“
Linz als „Leuchtturm“
Wie Rattei und Fortelny betonen, ist Österreich hinsichtlich Künstlicher Intelligenz im Bereich der Life Sciences im internationalen Vergleich gut positioniert. Als „Leuchtturm“ der Forschung und Entwicklung im Bereich AI gilt die Johannes-Kepler-Universität Linz. Dort entwickeln Forscher wie Günter Klambauer und Sepp Hochreiter Software, die von Biowissenschaftlern wie Rattei und Fortelny genutzt wird. Im Rahmen der „Artificial Intelligence in Life Sciences Group“ (AILS) entwickelten Hochreiter, Klambauer und ihre Kollegen unter anderem den CN.MOPS-Algorithmus, der in der Lage ist, Variationen in Genomen zu erkennen.
www.oegmbt.at
https://elixir-europe.org
https://www.jku.at/en/lit-artificial-intelligence-lab/
https://www.jku.at/en/institute-for-machine-learning/