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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Life Sciences für den Klimaschutz

on 07 July, 2022

Die vielfältigen Möglichkeiten der Biotechnologie zur Bewältigung des Klimawandels sind einer der Schwerpunkte der ÖGMBT-Jahrestagung Ende September in Wien.

 

Vom 20. bis 22. September findet in Wien die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowis-senschaften und Biotechnologie (ÖGMBT) statt. Wie stets, hat diese den Anspruch, die Life Sciences in Österreich als Gan-zes zu repräsentieren und anzusprechen. Daher werden Themen wie Medizin, Krebs- und Zellforschung auch diesmal ausführlich behandelt. Ein weiterer Schwerpunkte ist diesmal die Rolle der Biotechnologie bei der Bewältigung des Klimawandels, berichtet der wissenschaftliche Leiter der Tagung, Michael Sauer vom Insti-tut für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie der Wiener Universität für Bodenkultur: „Wir wollen ein wenig nachspüren, wer sich in Österreich mit diesem Thema beschäftigt und daran forscht.“ Aber auch Internationalität ist gefragt: Für Vorträge be-reits zugesagt haben Paola Branduardi, Professorin für Industrielle Mikrobiologie an der Universität Mailand mit jahrzehntelanger Erfahrung bei der Herstellung von Biokunststoffen und Ölen aus Hefe, sowie der Biologe Volker Wendisch von der Universität Biele-feld, der auf Verfahren der synthetischen Mikrobiologie zur Herstellung von Faserstoffen und Plastikgrundstoffen spezialisiert ist.

Sauer zufolge geht es bei der ÖGMBT-Jahrestagung unter ande-rem darum, erneuerbare Rohstoffe sowohl als Energieträger als auch zur Herstellung von Chemikalien zu nutzen. Verwenden las-sen sich dabei nicht zuletzt Materialien aus Nebenströmen industrieller Prozesse sowie Abfallstoffe, die bisher ungenutzt blieben. Auch die Abscheidung von CO2 aus den Abgasen von Fabriken und Kraftwerken samt seiner anschließenden Nutzung als Basis für die Chemikalienproduktion (Carbon Capture and Utilization, CCU) sowie die Herstellung geschlossener Kohlenstoffkreisläufe spielen in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Rolle. Was beispielsweise die Bereitstellung klimaneutraler Energieträger betrifft, ist laut Sauer das Potenzial zur Erzeugung von Biogas „bei weitem noch nicht ausgeschöpft“ – ein wichtiges Thema ange-sichts der bekannten Bestrebungen der Europäischen Union, sich von Gasimporten aus der Russländischen Föderation (RF) so weit wie möglich unabhängig zu machen. Große österreichische Faser-produzenten wiederum verwenden Holz als Ausgangsbasis für Hightech-Materialien, aus denen hochwertige Textilien erzeugt werden. „Dabei fallen verschiedene Nebenströme an, die man wiederum aufbereiten und zur Produktion von vielfältig nutzba-ren Chemikalien einsetzen kann“, erläutert Sauer.

Auch der klimaverträglicheren Bereitstellung von Nahrungs-mitteln können innovative biotechnologische Verfahren die-nen. Bekanntermaßen fallen bei der Erzeugung von Fleisch- und Milchprodukten mittels Viehwirtschaft erhebliche Mengen an Treibhausgasen an. Das betrifft keineswegs allein CO2, sondern auch das bisher vielfach unterschätzte Methan aus Rinder- und Schafsmägen. Vielversprechende Ansätze laufen darauf hinaus, erhebliche Teile der Fleisch- und Käseerzeugung künftig in Bio-reaktoren zu bewerkstelligen. „Das T-Bone-Steak vom Angus-Rind oder den französischen Weichkäse, der auf dem Teller schmilzt, werden wir auf diese Weise nicht ersetzen können. Aber das ist auch nicht notwendig“, konstatiert Sauer. Vielmehr gehe es um Massenprodukte mit erheblichem Volumen wie etwa Faschiertes für Burger und Pasta-asciutta-Saucen, Käse für Tiefkühlpizzen und Ähnliches: „Wenn solches Fleisch und solcher Käse so aussehen und eine vergleichbare Konsistenz haben wie tierische Produkte, ist es letzten Endes egal, wenn sie aus dem Bioreaktor kommen. Davon dürften auch die Konsumenten vergleichsweise einfach zu überzeugen sein.“ Sauer zufolge kann und soll der An-spruch der Biotechnologie nicht darin bestehen, jedes Naturpro-dukt zu ersetzen: „Wir müssen fragen, was wir sinnvoll ersetzen können und was nicht. Und wenn wir alles ersetzen, was wir kön-nen, haben wir einen großen Schritt in Richtung einer weitestge-hend klimaneutralen Nahrungsmittelerzeugung gemacht. Dann ist es auch kein Problem, wenn jemand ab und zu ein perfektes Steak genießen möchte, das tatsächlich von einem Rind stammt.“

Nicht unterschätzen
Allerdings dürfen auch die Herausforderungen beim Einsatz biotechnologischer Methoden für die Bewältigung des Klimawan-dels nicht unterschätzt werden, warnt Sauer. Ihr Vorteil besteht darin, auf die hohen Temperaturen und Drücke verzichten zu kön-nen, die für viele chemische Prozesse benötigt werden. Das senkt den Energiebedarf. Dem stehen indessen oft eine geringere Aus-beute sowie ein höherer Zeitaufwand gegenüber. Auch enthalten die entstehenden Reaktionsmischungen meist deutlich mehr „Ver-schmutzungen“ als chemisch erzeugte Substanzen. Daher ist es erforderlich, sie aufzureinigen, was wiederum den Energiebedarf erhöht. Viele der Verfahren sind daher noch im Entwicklungssta-dium und mit den seit Jahrzehnten etablierten Prozessen der Petro-chemie nicht konkurrenzfähig. Indessen werden die Folgekosten der petrochemischen Verfahren und Produkte sowie der Nutzung fossiler Energieträger bis dato selten
eingepreist. „Würde das erfolgen, könnte es sehr wohl sein, dass unsere Prozesse schneller sinnvoll werden“, konstatiert Sauer. Vieles hänge in dieser Hinsicht von der Politik ab. In Österreich etwa wird im Sommer bekanntlich eine CO2-Besteuerung eingeführt, wenngleich auf bescheidenem Niveau. Hilfreich wären laut Sauer auch klare politische Vorgaben hinsichtlich der Frage, ab wann bestimmte Verfahren und Produkte nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Realistische Zeitpläne können zu einer weitgehend reibungslosen Umstellung der Industrie und zum Entstehen neuer Industriezweige beitragen. Außerdem kann und soll die Biotechnologie die etablierte Chemie keineswegs ersetzen, sondern vielmehr ergänzen, betont Sauer. Beispielsweise lässt sich CO2 mit elektrochemischen Verfahren zu Methanol redu-zieren, das wiederum biologisch verwendet werden kann.


Alle gefordert
Im Wesentlichen positiv beurteilt Sauer die in Österreich gege-benen Rahmenbedingungen für biotechnologische Forschung und Entwicklung zur Bewältigung des Klimawandels. Das betrifft so-wohl das Niveau der Ausbildung des einschlägigen Fachpersonals als auch die Verfügbarkeit sowie die Dotierung der entsprechenden Förderungen. Wichtig wäre Sauer zufolge, bereits in den Schulen stärker als bisher auf die Bedeutung von Wissenschaft und Techno-logie hinzuweisen: „Das sollte bereits bei der Ausbildung des Lehr-personals beginnen.“ Auch die Politik sei eingeladen, ihre Haltung zu überdenken: „Wenn immer wieder gesagt wird, wie gefährlich neue Technologien sind, deren Wert dagegen nicht anerkannt und kommuniziert wird, macht das unsere Arbeit nicht einfacher.“ Grundsätzlich ist laut Sauer festzuhalten: „Die Bewältigung des Kli-mawandels betrifft uns alle. Im Endeffekt müssen wir bei uns selbst anfangen und fragen, was wir beitragen können.“

Published in Chemiereport 03/2022