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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Schach dem Gießkannenprinzip

on 19 September, 2020

Österreichs F&E-Rate ist mit 3,2 Prozent am BIP die zweithöchste innerhalb der EU. Als ganz wesentlichen Nachteil für unser Industrieland kritisieren Fachleute aber die seit langem unzureichende Dotierung der wettbewerblichen Förderung der Grundlagenforschung, die sich am untersten Ende der Skala findet. Dabei wird der globale Kampf um die „besten Köpfe“ immer intensiver. Wo die Hebel anzusetzen sind, ist bekannt.

indringlicher Mahner in Sachen Forschungsförderung war über die Jahre immer wieder Hannes Androsch. Besonders deutlich fielen seine Worte im Vorfeld seines kürzlich erfolgten planmäßigen Rücktritts als Präsident des „Rates für Forschung und Technologieentwicklung“ aus. Dabei attestierte er Österreich eine „unverantwortliche Zukunftsvergessenheit“ und ein Staat der „Ankündigungsweltmeister“ zu sein, das Fehlen einer Forschungsstrategie bis 2030 und einen bereits feststellbaren „enormen brain drain“ ins Ausland. Was die gesamte EU betrifft, zeichnete er das Bild eines „kalten Krieges“ mit den USA und der VR China, in dem es um die „Vorherrschaft bei Zukunftstechnologien“ gehe. Positiv aufgenommen wurden seine klaren Worte von den Führungskräften der heimischen Forschungsförderungsorganisationen. Sie fühlen sich dadurch bestätigt, „der Politik“ neuerlich ihre Ver-antwortung für die Zukunft des Landes in Erinnerung zu rufen. Sie können dabei auf entsprechende Absichtserklärungen im Regierungsprogramm von „Türkis/Grün“ verweisen (Kurzfassung): Beschluss des „Forschungsfinanzierungsgesetzes“ (eines Wachstumspfads, der mehrjährige Finanzierungs- und Planungssicherheit gibt); Erarbeitung einer Strategie für Forschung, Innovation und Technologie (FTI) 2030; Stärkung der Grundlagenforschung durch eine „Exzel-lenzinitiative“; Bekenntnis zu einer Technologie- und Klimaoffensive in der Angewandten Forschung. Das Forschungsfinanzierungsgesetz wurde kürzlich vom Nationalrat beschlossen und damit zumindest ein dreijähriger Planungshorizont sichergestellt. Was nach wie vor fehlt, ist der alles entscheidende Finanzierungsteil. Ungeklärt sind zudem die nachhaltige Dotierung der Universitäten und die Valorisierung des Fachhochschulbudgets.

Das sind Österreichs wichtigste Förderagenturen

Nutznießer sollen also sowohl die Grundlagenforschung als auch die Angewandte Forschung sein. Förderanträge bearbeiten der bereits 1968 eingerichtete „Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF“ (Grundlagen-forschung) und, für die unternehmensnahe Forschung, die 2004 gegründete, im Eigentum von zwei Bundesministerien stehende, „Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft“ (FFG). Beim FWF handelt es sich um eine Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit. Das Verhältnis der finanziellen Dotierung von FWF und FFG betrug 2019 in etwa eins zu drei. Die dritte große Agentur ist die „Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft“ (aws), die Förderbank des Bundes für unternehmensbezogene Forschungsvorhaben. Projekte der Life Sciences werden u. a. von der „Ludwig Boltzmann Gesellschaft“ unterstützt. Die „Christian Doppler Forschungsgesellschaft“ (CDG) stellt gleichsam die Verbindung zwischen der Förderung der Grundlagenforschung und der Angewandten Forschung dar. Sie ist als Verein in einer Public-Private-Partnership organisiert. Instrumente der CDG sind die „Christian Doppler Labors“ (für Kooperationen zwischen den Universitäten und den Unternehmen) und die „Josef Ressel Zentren“ (Fachhochschulen plus Wirtschaft). CDG-Präsident Martin Gerzabek kann über ein Jahresbudget von 30 Mio. Euro verfügen. Er freut sich, dass die Agentur nun auch im Forschungsfinanzierungsgesetz als zentraler Forschungsförderer verankert wurde. Die Agenturen beziehen die von ihnen vergebenen Fördergelder wiederum zum Teil aus der (derzeit unbefüllten) „Nationalstiftung“ und dem „Österreich Fonds“. Die Nicht-Dotierung der Nationalstiftung würde zu einem wesentlichen Einschnitt in den Budgets der Agenturen führen.

Die Grundlagenforschung hat „Vorsorgefunktion“ für die Gesellschaft

Seit langem ist ein Trend zur Privatisierung der Wissensgenerierung zu verzeichnen. Das Engagement der Industrie ist durchaus begrüßenswert, es birgt aber auch Risiken. Es geht dabei etwa um die mögliche Einschränkung der thematischen Vielfalt und darum, wem letztlich die durch private Gelder gewonnenen Erkenntnisse gehören. Als ein zentrales Argument für die staatliche Unterstützung der Grundlagenforschung nennt FWF-Präsident Klement Tockner deren „Vorsorgefunktion“ für die Gesellschaft. Im Unterschied zur Angewandten Forschung sei nämlich einzig die Grundlagenforschung in der Lage, künftige Herausforderungen und Krisen möglichst früh zu identifizieren, uns darauf vorzubereiten und, im Idealfall, Letztere sogar abzuwenden. Tockner: „Das Engagement auf diesem Terrain ist risikoreicher und muss zumeist auch längerfristig angelegt sein, weshalb sich die öffentliche Hand von dieser Aufgabe keinesfalls zurückziehen darf – ganz im Gegenteil!“ In ganz praktischer Hinsicht sind die vom FWF vergebenen Fördergelder für Personen am Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere besonders wichtig. Gelingt es den Jungen nämlich nicht, diese Ersthilfe zu bekommen, dann droht die Zahl und ev. auch die Qualität ihrer Projekte abzunehmen, wodurch es für sie wiederum viel schwieriger wird, Drittmittel zu lukrieren. Wie wichtig diese aber sind, zeigt die Lage an unseren Universitäten: Die Finanzierung des Bundes deckt im Wesentlichen nur noch die Kosten für die Infrastruktur, das Personal und die Lehre ab. Kein Wunder also, dass der FWF mit einer ständig steigenden Zahl von Förderanträgen konfrontiert ist. Seine Dotierung durch den Bund kann damit längst nicht mehr Schritt halten. 2019 wurden Projekte im Gesamtwert von rund einer Mrd. Euro eingereicht, wovon Anträge im Wert von 237 Mio. Euro genehmigt werden konnten. 86,6 Mio. Euro davon entfielen auf die Medizin und die Biologie. Weitere exzellente Projekte aus allen Disziplinen im Wert von knapp 60 Mio. Euro mussten aufgrund fehlender Mittel abgelehnt werden. Klement Tockner: „Dadurch verliert unser Land jährlich rund 500 großartige Talente, die so entweder ins Ausland gehen oder der Wissenschaft für immer den Rücken kehren.“ Diese Situation missfällt auch der OECD. Sie hat Österreich kürzlich mit Nachdruck empfohlen, deutlich mehr in die wettbewerbliche Grundlagenforschung zu investieren und nicht ausschließlich dem Druck kurzfristiger Wirtschaftsmaßnahmen nachzugeben.

Dreh- und Angelpunkt für den FWF: die „Exzellenzinitiative“

Schon im August 2019 hatte die „Allianz österreichischer Wissenschaftsorganisa-tionen“ (FWF, Wissenschaftsrat, Universi-tätskonferenz Uniko, Akademie der Wissenschaften, ERA Council Forum Austria und IST Austria) eindringlich auf die prekäre Lage aufmerksam gemacht. In der Folge erging seitens des Wissenschaftsministeriums an den FWF und die Räte der Auftrag, ein Konzept für eine „Exzellenzinitiative“ auszuarbeiten. Diese sollte aus den Säulen „Exzellenzcluster“ (aufbauend auf den bestehenden Stärken des Sektors), „Emerging Fields“ (neue Themenfelder, auf denen man schließlich international führend sein will) und „Austrian Chairs of Excellence“ (Unterstützung bei der Gewinnung der „besten Köpfe“ bei Berufungen) bestehen. Das Konzept der Exzellenzinitiative liegt längst vor. Seitens der Politik gelte es nun, das von ihr gezeigte Commitment durch entsprechende Geldmittel zu bestätigen, so auch Martin Gerzabek.

Die Grundeinstellung der Gesellschaft zur Forschung ist ausbaufähig

Auch der Arzt, Biologe und Professor an der Medizinischen Universität Innsbruck, Lukas A. Huber, erkennt großen Handlungsbedarf und führt dazu folgendes Beispiel an: „Die rund 230 Millionen Euro, welche der FWF pro Jahr vom Bund erhält, entsprechen etwa jener Summe, die alleine der Universitätsstandort Heidelberg von der DFG bekommt.“ Er ortet bei uns aber auch eine überlange Review-Dauer bei Einzelanträgen und einen „generell ge ringen Stellenwert“, den die Forschung in der Gesellschaft habe. „Wahrgenommen wird diese nur, wenn es um das Funktionieren der Unis oder um die Bereitstellung von Studienplätzen geht.“ Zu diesem Urteil beigetragen haben sicher auch entsprechende Rückmeldun-gen von Mitgliedern der „Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissen-schaften und Biotechnologie“ (ÖGMBT), der Huber als Präsident vorsteht. Die ÖGMBT vertritt die Interessen von mehr als 1.300 Wissenschaftlern, Studierenden und 60 Unternehmen, wobei sowohl die Grundlagenforschung als auch die Angewandte Forschung bis hin zur Umsetzung der Ergebnisse abgedeckt werden.
Jedoch habe „Corona“ den Blick der Menschen stärker auf die Forschung gelenkt. Insgesamt seien über das Virus bzw. die Pandemie weltweit bisher rund 45.000 Arbeiten publiziert worden. Als international gefragter Reviewer weiß Huber über die dabei aufgetretenen Qualitätsdefizite Bescheid. „Auch daran wird klar, wie wichtig eine gut dotierte Grundlagenforschung samt effizienten Review-Prozessen ist.“
Der ÖGMBT-Präsident trägt die Forderungen der „Allianz der Österreichischen Wissenschaftsorganisationen“ mit. Er verlangt aber zudem ein Weiterdenken in Richtung Stiftungen, wie sie in den USA, Großbritannien und in der Schweiz gang und gäbe sind. Als Beispiel nennt er die ETH Zürich, die auf diese Weise pro Jahr rund 100 Millionen Euro einnimmt. Huber teilt damit zugleich einen Seitenhieb in Richtung Österreichische Nationalbank aus, die ja ihren traditionsreichen „originären Jubiläumsfonds“ fortan nur mehr „notenbankrelevanten Fragestellungen“ zur Verfügung stellt. Die Schweiz habe aber auch nicht minder Wichtiges längst umgesetzt: Das eidgenössische Dotierungsverhältnis zwischen Grundlagenforschung und Angewandter Forschung verhält sich genau umgekehrt zu unserem Modell.

Wettbewerb um die besten Talente

Ohne Zweifel könnte Österreich die Grundlagenforschung auch ins Ausland auslagern und die Ergebnisse abschöpfen. Klar ist aber, dass dadurch weitere Abhängigkeiten entstünden und das Land noch mehr Kreative verlieren würde. Gelder, um dieses Szenario zu vermeiden, sind vorhanden. Für viele Fachleute geht es vielmehr um die Frage, worin investiert wird. Das „Prinzip Gießkanne“ dürfte jedenfalls – gerade in Zeiten des weltwei-ten Wettbewerbs um die „besten Köpfe“ – nicht das optimale sein. Eine immer öfter genannte Möglichkeit, Bundesmittel zielgerichteter und mit besseren Resultaten zu vergeben, ist es, deren Höhe an der Zahl der an einer Lehr- bzw. Forschungseinrichtung angesiedelten „Besten“ zu bemessen. Dies ist in vielen anderen Staaten längst gängige Praxis, während in Österreich nach wie vor im Wesentlichen die Anzahl der Studierenden oder der abgeschlossenen Studien zählt („Modus Gießkanne“). Resultat davon sei es, so Klement Tockner, dass es nach dem jüngsten Ranking der „Times“ nur die Universität Wien unter die Top 200 der Welt geschafft hat. Zum Vergleich: in der Schweiz sind es sieben, in Holland elf Universitäten. Die Ermittlung, ob ein Standort „top“ ist (oder eben nicht), würde in der Folge wohl auch die Diskussion um die Kleinteiligkeit (22) der heimischen Universitätslandschaft erübrigen. Als Bewertungskriterium empfiehlt Tockner die Zahl der erfolgreichen Einrei-chungen einer Institution beim FWF. Ein für ihn positiver Nebeneffekt: „Die Politik“ würde dadurch mehr vorzeigbare Spitzenleistungen sehen, die sie ja gerne vor den Vorhang holt. Die erwähnte „Exzellenz-initiative“ sei auch deshalb so wichtig. Im Zusammenhang mit ihr empfiehlt Lukas A. Huber allerdings, zuerst eine ausreichende Dotierung für Einzelanträge zu sichern und die „Spezialforschungsbereiche“ besser zu finanzieren, da gerade diese geeignet seien, einem Campus positive Impulse zu verleihen.

„Internationalität“ sieht anders aus

Ausbaufähig wäre ohne Zweifel auch die „Internationalität“ an den heimischen Forschungs- und Lehrstätten. Kamen laut „Profil“ im Jahr 2013 im Schnitt bereits 20 Prozent der Professoren aus Deutschland (Uni Wien und Uni Salzburg ca. 38 %), soll ihr Anteil heute mancherorts schon bei deutlich über vierzig Prozent liegen. Hinzu kommt noch die von den jeweiligen Kräf-ten mitgebrachte „Entourage“. Ein „brain drain“ ist in dieser Hinsicht also nicht feststellbar. Die Jobaussichten für heimische Kräfte dürften dadurch nicht gerade steigen. Für Klement Tockner und Lukas A. Huber ist diese Situation deshalb unbefriedigend, da sie nur einen Teil der europäischen Vernetzung darstellt – und davon bloß nur einen Aspekt. Wovon wir aber tatsächlich mehr bräuchten, so die beiden Experten unisono, wären mehr Talente aus aller Welt! Chancen dafür dürfte etwa der „Brexit“ bieten. Was sich diesbezüglich tut, könnte sich bereits anhand der in Österreich zur Besetzung anstehenden rund 360 neuen Professuren zeigen und, sollte sie tatsächlich verwirklicht werden, auch im Kontext mit der neuen Technischen Universität in Linz.
Beim FWF befasst man sich aber auch mit Initiativen, die der Bevölkerung den Wert der Grundlagenforschung vermitteln sollen. Angedacht sind etwa die Intensivierung der Kooperation mit dem ORF und mit Tageszeitungen sowie Publikumsveranstaltungen wie jene 2018 am Maria-Theresien-Platz in Wien. Damals konnten innerhalb von vier Tagen rund 35.000 Menschen für Wissenschaft und Forschung begeistert werden.

Published in: Chemiereport 06/2020