Michael Sauer, der neue Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT), über die Schwerpunkte seiner Tätigkeit und die Bedeutung wissenschaftlicher Forschung für die Gesellschaft
CR: Sie sind seit Jahresbeginn neuer Präsident der ÖGMBT. Was sind die wichtigsten Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit?
Zwei Punkte sind mir besonders wichtig. Erstens: Die Herausforderungen, die sich uns stellen, verlangen nach Kooperation und Gemeinschaft. Die ÖGMBT ist im Bereich der Biowissenschaften und der Life Sciences ein wesentlicher Akteur. Aber es gibt eine Reihe weiterer wissenschaftlicher Gesellschaften. Da möchte ich für mehr Zusammenarbeit eintreten. Wissenschaftsskepsis beispielsweise ist ein Thema, dem sich alle Einrichtungen stellen müssen. Es wäre günstig, sich besser zu koordinieren. Auch thematisch gibt es Überlagerungen. Der Biochemie etwa kann man sich von der Biologie her nähern, also von der Seite der ÖGMBT, aber auch von der Chemie her, also von der Seite der Österreichischen Chemischen Gesellschaft (GÖCH). Auch diesbezüglich möchte ich gerne stärker zusammenarbeiten und schauen, wo wir gemeinsame Interessen haben. Grundsätzlich ist es mir ein Anliegen, Gräben zu überbrücken. Ich bin ja aus dem Universitätsbereich in die Industrie gewechselt. Im Bereich Biowissenschaften und Life Sciences braucht man die Academia ebenso wie die Start-ups und die große Industrie.
CR: Sie sprachen von einem zweiten Schwerpunkt …
Das ist der Nachwuchs. Die Gesellschaft ändert sich. Um uns als ÖGMBT richtig aufzustellen, brauchen wir junge Leute. Da geht es nicht nur um die Nachwuchsförderung, sondern auch darum, junge Vertreterinnen und Vertreter der Biowissenschaften in die Entscheidungsstrukturen der ÖGMBT besser einzubinden. Das bedeutet beispielsweise, Personen in den Vorstand zu kooptieren. Mein Nachfolger als Zweigstellenleiter Ost, Felix Sternberg, war bisher Leiter der ÖGMBT-YLSA.
CR: Möchten Sie die ÖGMBTYLSA generell aufwerten?
Ja. Wissenschaftliche Gesellschaften stehen oft vor folgendem Problem: Wir „Alten“ haben meistens fixe berufliche Positionen. Und wenn wir uns in Vertretungsorganen engagieren, können wir das lange Zeit machen. Bei jungen Leuten ist das anders, etwa, wenn sie eine PhD-Stelle haben. Wenn ihr Vertrag nach einigen Jahren ausläuft, wechseln sie die Stelle und damit häufig den Arbeitsort, und damit verliert man sie wieder. Wir müssen daher eine Struktur schaffen, damit dann keine große Leere entsteht. Wir brauchen Kontinuität.
CR: Wie wollen Sie diese erreichen?
Zunächst einmal plane ich, meinen Kontakt zu den ÖGMBT-YLSA-Vertreter:innen in den verschiedenen Zweigstellen zu intensivieren. Diese sind gut vernetzt. Es gibt ein monatliches Treffen, das auch online stattfinden kann. Da möchte ich zumindest gelegentlich gerne teilnehmen, um zu erfahren, wie das Präsidium den Nachwuchs unterstützen kann, und deren Anliegen im Vorstand einbringen.
CR: Bedeutet das auch, die Strukturen der ÖGMBT zu verändern?
Nein. Wir sind sehr gut aufgestellt. Das Office um Alexandra Khassidov ist die „Seele“ der ÖGMBT. Es hält das Schiff in Betrieb, der Vorstand und das Präsidium legen den Kurs fest.
CR: Was sind die wichtigsten Anliegen der ÖGMBT an die Forschungspolitik?
Ich kann nicht aus dem Ärmel heraus für die ÖGMBT sprechen, sondern nur für mich. Aber klar ist: Die Wissenschaft ist eine der Grundlagen unserer Gesellschaft, unseres Fortschritts und unseres Wohlstands. Deswegen ist für uns ein wissenschaftsfreundliches gesellschaftliches Klima sehr wichtig, und zwar auf allen Ebenen. Natürlich geht es um Forschungsförderung, aber ebenso um die Ausbildung. Verbesserungswürdig ist in Österreich die Heranführung von Kindern und Jugendlichen an die Wissenschaft und die Vermittlung des Werts von Wissenschaft. Auch bei der Förderung für die Startups ließe sich einiges tun.
CR: Die Förderung der Grundlagenforschung war Ihren Vorgänger:innen stets ein großes Anliegen.
Die Grundlagenforschung ist essenziell. Einerseits bringt sie uns in der Erkenntnis weiter, andererseits ist sie eben die Grundlage für die angewandte Forschung. Wer angewandte Forschung betreiben will, kommt um solide wissenschaftliche Grundlagen nicht herum. Der Punkt hier ist: Wer finanziert was? Um die angewandte Forschung sollten sich verstärkt die Unternehmen kümmern, idealerweise in public private partnerships, weil sie davon profitieren. Die Grundlagenforschung dagegen ist eine gesellschaftliche und damit staatliche Aufgabe. Und da gibt es sicher Verbesserungsbedarf.
CR: Ist der Politik die Bedeutung der Grundlagenforschung zu wenig klar?
Die Förderung der Grundlagenforschung ist ein Bereich, in dem manche Politiker Einsparungen für leicht möglich halten. Was sie dabei übersehen, ist: Wer hier spart, trocknet auf längere Sicht die angewandte Forschung aus, weil Erkenntnisse fehlen, die sich anwenden ließen.
CR: Wie lässt sich der Nutzen der Grundlagenforschung besser vermitteln?
Das ist nicht zuletzt eine Aufgabe der Forschenden selbst. Wir sind der Gesellschaft schuldig, ihr zu erklären, was wir tun und welchen Wert das hat. Da kann die ÖGMBT als eine Art Anlaufstelle eine Rolle spielen. Wenn sich jemand aus der Politik für eine bestimmte Thematik interessiert, könnte er sich an uns wenden, und wir würden dann eine Ansprechperson vermitteln.
CR: Sie sagten vor einiger Zeit, bis zum Proof of Concept einer Technologie bekomme die Forschung Geld für ihre Arbeit. Kurz vor der Marktreife der betreffenden Technologie wiederum seien industrielle Unternehmen bereit, sich finanziell zu beteiligen. Aber dazwischen klaffe das berühmte „Valley of Death“. Hat sich daran etwas geändert?
Leider zu wenig. Es gibt einzelne Initiativen und Förderschienen. Aber grundsätzlich ist das immer noch ein großes Problem. Pilotanlagen sind vergleichsweise teuer, bringen aber keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen. Deswegen schreckt die Industrie davor zurück, sie zu finanzieren. Daher müsste auf politischer Ebene angesetzt werden. Auf EU-Ebene beispielsweise gibt es „Joint Undertakings“, Unternehmen, an denen sich die öffentliche Hand beteiligt. So etwas könnte auch in Österreich sinnvoll sein. Zurzeit ist unsere Wirtschaftsweise im Wesentlichen erdölbasiert. Wenn wir den Green Deal der EU ernst nehmen und bis 2050 klimaneutral werden wollen, dann kann ich mir das technisch vorstellen. Wirtschaftlich ist es schwieriger, denn man braucht immense Investitionen. Viele Infrastrukturen werden künftig nicht mehr benötigt, dafür aber andere. Und diese neuen Infrastrukturen können jetzt – so lange es vergleichsweise billiges Erdöl gibt – noch keinen Gewinn bringen, später aber durchaus. Das heißt aber auch, entsprechende Investitionen sind unattraktiv. Es ist immer wieder von „Brückentechnologien“ die Rede. Aber die „Brücken“ führen derzeit nirgendwo hin. Die Industrie sagt verständlicherweise: Warum soll ich in etwas investieren, das mir innerhalb der kommenden fünf Jahre kein Geld bringt? Wenn dann aber der Punkt kommt, an dem wir kein Erdöl mehr einsetzen wollen, werden wir die Investitionen nicht oder zu spät getätigt haben. Und das ist etwas, wo ich Handlungsbedarf sehe. Das ist eine gesellschaftliche Frage, wo wir uns überlegen müssen, wie wir damit umgehen.
CR: Die Politik muss sparen, Stichwort Defizitverfahren der EU: Befürchten Sie Kürzungen bei der Forschungsförderung?
Ich hoffe, dass man davon abgehen wird. Bei der Forschung zu sparen, wäre das Falscheste, was man tun könnte. Wir brauchen gerade jetzt mehr denn je Forschung, um etwas ändern zu können. Wir stehen vor größten Herausforderungen, sei es im medizinischen Bereich, sei es hinsichtlich der Alterung der Gesellschaft, sei es, was den Klimawandel anlangt. Das müssen wir adressieren. Und dazu brauchen wir Forschung, und zwar dauerhaft. Es hat keinen Sinn, jetzt die Stopptaste zu drücken.
CR: Befassen Sie sich mit solchen Fragen auch in Ihrer Tätigkeit bei der OMV, deren Abteilung Biotechnologie Sie leiten?
Ja. Im Grunde genommen mache ich dort dasselbe wie vorher auf der Universität für Bodenkultur. Mein Arbeitsfeld ist die industrielle Mikrobiologie, die Herstellung von nachhaltigen Rohstoffen und Chemikalien mithilfe von Mikroorganismen. Und die OMV hat eine sehr ambitionierte Strategie. Sie will bis 2050 klimaneutral werden und hat dazu unter anderem das Department für Biotechnologie gegründet, das ich seit Mitte 2023 leite. Es geht mir insbesondere um Umsetzung. Ich würde gerne etwas bauen, womit etwas produ-ziert wird. Die OMV hat eine Strategie, die das ermöglicht.
CR: Wie sieht es mit der internationalen Vernetzung aus, Stichwort EUEbene, wo wir seit einiger Zeit eine neue Kommission haben?
Die ÖGMBT vernetzt sich international. Wir sind Mitglied in der Federation of European Biochemical Societies (FEBS). Ich selbst bin seit Jänner im Board of Directors der Federation of European Microbiological Societies (FEMS), bei der es um die Vernetzung im Bereich der mikrobiologischen Forschung geht. Viele Ansätze und Initiativen in anderen europäischen Ländern sind sehr erfolgreich. Organisationen wie FEMS können als Drehscheiben und Multiplikatoren wirken. Wir brauchen Projekte wie den Green Industrial Deal. Diesbezüglich gibt es durchaus Kräfte, die uns unterstützen. Natürlich wird die EU in unterschiedliche Richtungen gezogen. Organisationen wie FEBS und FEMS können in die richtige Richtung wirken.
CR: Wie soll die ÖGMBT am Ende Ihrer Präsidentschaft aussehen?
Sie soll jung, dynamisch und gut vernetzt in der österreichischen Forschungslandschaft sein. Das würde ich mir wünschen.