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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Den Markt im Blick

on 07 July, 2022

Neben wissenschaftlichem Austausch ist es der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT) wichtig,  junge Forscher auch an Managementthemen heran-zuführen. Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze, zeigen Beispiele.

Seit Jahren rückt die ÖGMBT mit der Initiative YLSA (Young Life Scientists Austria) Karrierethemen in den Fokus“, betont Andrea Bauer, interimistische Geschäftsführerin der ÖGMBT. „Bei den früheren Jahrestagungen wurden von YLSA Karriere-re-levante Workshops organisiert, seit 2020 gibt es monatliche online ‚Life Science Career Paths‘, bei denen Kollegen aus den Life Sciences ihren Werdegang erzählen. In diesen sehr offenen, persönlichen Karriere-Berichten hören wir immer, dass neben der Fachkompetenz auch persönliche Kompetenzen und Managementwissen nötig sind, um zu reüssieren.“ Um den Karriere-Fokus zu erweitern, veranstaltet die ÖGMBT Bauer zufolge „im Vor-feld der Jahrestagung 2022 die erste ‚Life Science Career Fair‘ am 19. September, wo nicht nur Arbeitgeber mit Jobsuchern zusam-mentreffen, sondern in flankierenden Vorträgen und Workshops Karriere-Themen beleuchtet werden.“
Eine der Referentinnen beim „Life Science Career Fair“ ist Julia Studencki, die Personalchefin des bekannten Life-Science-For-schungsunternehmens Austrian Centre of Industrial Biotechnology (ACIB GmbH). Sie beschreibt die Herausforderung so: „Wir haben festgestellt, dass Absolventen naturwissenschaftlicher Studien-richtungen oft über nur unzureichende wirtschaftliche Kenntnisse verfügen. Sie kommen zu uns meist unmittelbar aus wissenschaft-lichen Umgebungen, entweder direkt vom Studium oder nach ihrer PhD-Zeit von einer Universität. Da fehlt einfach ein gewisses Basiswissen hinsichtlich Wirtschaft und Industrie.“ Das ACIB ver-steht sich insbesondere auch als Sprungbrett für Jungwissenschaft-ler in die Industrie, als Netzwerkpartner der Unternehmen und als Ausbildungsstätte für diese. Das ist der Hintergrund für die Etab-lierung des Programms „Ecib – Excellent Career in Industrial Bio-technology“, das dieser Tage startete. Es richtet sich an Personen, die eine Tätigkeit auf der Ebene des mittleren Managements von Life-Sciences-Unternehmen anstreben, etwa die Position einer Produktionsleiterin. Der „CEO-Level“, der die strategischen Entschei-dungen zu treffen hat, ist dem gegenüber nicht im Blick. Wichtig ist laut Studencki „eine gewisse Denkweise. Man sollte bei seiner Forschungstätigkeit im Blick haben: Was bringt das denn? Welches Problem möchte ich lösen, welcher Markt könnte dahinterstehen?“
Wie Studencki erläutert, hat das Ecib vier inhaltliche Schwer-punkte. „Economic Knowledge“ mit seinen unterschiedlichen Modulen vermittelt grundlegende Kenntnisse des Wirtschaftsle-bens und der damit verbundenen Begrifflichkeiten. Wer etwa bei „Overheads“ an den guten alten Overheadprojektor denkt, erfährt, dass dieser nur bedingt gemeint ist. Die Strukturen eines Unternehmens kennenzulernen, bedeutet auch, Hierar-chien zu verstehen und entsprechend zu agieren: „In man-chen Firmen kann einen das Gespräch mit dem Geschäftsführer über den unmittelbaren Vorgesetzen hinweg den Kopf kosten, weil das nicht Teil der Unternehmenskultur ist.“
Eine zunehmende Rolle im Wirtschaftsleben spielen jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Ecib-Teilnehmer im Rahmen des Schwerpunkts „Cultural Competence“ erwer-ben. Dabei geht es um firmeninterne Verhaltensregeln, aber auch um das gedeihliche Zusammenspiel von Personen aus un-terschiedlichen Kulturkreisen. Ferner auf dem Programm stehen Fragen der Inklusion von Beschäftigten mit körperlichen Beein-trächtigungen und der Geschlechterdiversität. Der Schwerpunkt „Industrial Knowledge“ wiederum umfasst die „harten Fakten“ des wirtschaftlichen Alltags, von den Produktionsprozessen bis zur Qualitätssicherung. Verdeutlicht wird auch, dass Forschung in der Industrie bedeuten kann, interessante Grundsatzfragen zu verwerfen, wenn deren kommerzielle Sinnhaftigkeit unabsehbar ist. „Breaking Barriers“ als vierter Schwerpunkt schließlich dient der Ausbildung der unternehmerischen Persönlichkeit, bis zum Organisieren interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Didaktisch setzt das Ecib auf „Blended Learning“, also die Kom-bination von Präsenzveranstaltungen mit Selbstlern-Formaten. Überlegt wird, das Ecib künftig für bestimmte Gruppen von Be-schäftigten des ACIB obligatorisch zu machen, etwa für Postdocs, berichtet Studencki.

„Holistische Betrachtungsweise“

„Unternehmerische Kompetenz beinhaltet ein Bündel an Fä-higkeiten. Dazu gehört, Chancen zu erkennen und zu ergreifen, kreative Prozesse zu planen, umzusetzen und zu verwalten, um bestimmte Ziele zu erreichen. Diese sollten einen kulturellen, so-zialen oder finanziellen Wert besitzen. Ein Bewusstsein für ethi-sche Werte und verantwortungsbewusstes Handeln sollte dabei als Leitplanke dienen“, konstatiert die auf Life-Science- Organi-sationen spezialisierte Wiener Unternehmensberaterin Petra Buchinger. Ihr zufolge muss, wer wirtschaftlichen Erfolg erzie-len will, „in der Lage sein, komplexe Inhalte zu durchdringen, einen roten Faden, die Essenz, zu erkennen. Das geht weit über Zahlen, Daten und Fakten, über Fachwissen hinaus“. Es handle sich um ein „Erfühlen, ein Erspüren – ein intuitives Erfassen von Mustern, Strukturen, Zusammenhängen“, das „auf eine fast ma-gische Art möglich“ sei. Erforderlich ist Buchinger zufolge dafür, Sachverhalte aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrach-ten. Als Beispiel verwendet sie in ihren Vorträgen, Seminaren und Coachings oft das Bild des Haares am Rüssel eines Elefan-ten als Metapher. Damit will sie veranschaulichen, dass Details in größeren Kontexten eingebunden und mit diesen verbunden sind und daher nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Häufig sei ein Wissenschaftler „ein Experte in einem winzigen Teilbe-reich“, der nur diesen im Blick habe, nicht aber das große Ganze. Das jedoch sei problematisch, wenn jemand unternehmerisch agieren solle: „Denn es gibt noch andere Augen und Perspekti-ven, aus denen auf einen Sachverhalt geschaut werden kann.“ Stets müsse eine Unternehmerpersönlichkeit daher bereit sein, vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen, Mehrperspekti-vität zur Durchdringung von Komplexität zu praktizieren und „heilige Kühe“ zu schlachten. Buchinger beschreibt dies so: „Ein Unternehmer muss sehr reflektiert sein und darf nicht von sich glauben, dass er der Mittelpunkt der Welt ist.“ Letzten Endes sei es erforderlich, eine „holistische Betrachtungsweise“ zu wählen. Und es genüge keineswegs, sich lediglich theoretisches Fachwis-sen anzueignen. Vielmehr müsse ein Unternehmer seine Kennt-nisse „auch leben und umsetzen können“. In den Blick kommen damit die „Soft Skills“, die laut Buchinger für wirtschaftlich erfolgreiches Handeln „ein absolutes Muss“ sind: „Sonst gibt es Fehlentwicklungen.“ Bei den „Soft Skills“ steht Buchinger zu-folge „die eigene Persönlichkeit im Mittelpunkt – die Fähigkeit, mit sich selbst und anderen Menschen umzugehen. Es geht also um methodische, soziale und persönliche Kompetenzen, die über das Fachliche hinausgehen“. Als „zentrales Thema“ erach-tet Buchinger die „persönlichen Werte“. Gerade auch Unterneh-mer seien gut beraten, sich immer wieder eine Frage zu stellen: „Welcher Mensch möchte ich sein?“

Published in Chemiereport 04/2022