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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Der Versuch, auf den es ankommt

Friday, 01 June 2012 00:00

Der Entwurf zu einem neuen Tierversuchsgesetz hat massive Kritik von Vertretern der Biowissenschaften nach sich gezogen. Folgt man den Formulierungen des vorgeschlagenen Gesetzestexts, hätten ganze Wissenschaftszweige mit erheblichen bürokratischen Hindernissen zu rechnen.

Der vom Wissenschaftsministerium vorgelegte Entwurf zu einem neuen Tierversuchsgesetz bewegt derzeit die Gemüter – und das von sehr verschiedener Seite mit sehr verschiedener Motivation. Wollen die einen Tierversuche am liebsten so weit wie möglich verhindern, haben die anderen den hervorragenden Ruf der österreichischen Life Sciences vor Augen, die auf weiten Strecken auf das Tier als Modellorganismus angewiesen sind. Der Boulevard hat seine Meinung freilich schon getroffen. „Empörung über neues Gesetz – so leiden Tiere in Versuchs-Labors“ – so und so ähnlich konnte man in den vergangenen Wochen auf den Titelseiten auflagenstarker Blätter lesen. Die veröffentlichte Meinung schwenkte damit ganz auf die Linie von Tierschutz-Organisationen ein, nach deren Meinung die Kontroll- und Eingriffsrechte der Behörde viel zu wenig weit gehen. Einen Aufschrei gab es aber auch vonseiten der Wissenschaft. Zahlreiche renommierte Forschungsinstitutionen wie das Institut für Molekulare Pathologie (IMP), das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) oder das Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) unterstützten eine gemeinsame Stellungnahme mit der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT), in der mehr als 1.000 Forscher aus allen Disziplinen der Life Sciences vertreten sind. Die Wissenschaftler fürchten angesichts bürokratischer Hürden, die der Entwurf vorsieht, dass dem österreichischen Forschungsstandort erhebliche Nachteile erwachsen könnten, ja dass – wenn man den Text entsprechend auslegt – mit dem Vorwand des Tierschutzes sogar eine Kontrolle von Forschungsinhalten möglich würde.

Österreich unter Zugzwang

Was steckt dahinter? Der Entwurf des Wissenschaftsministeriums aus dem Juli 2012 für ein „Tierversuchsrechtsänderungsgesetz“, mit dem neben der Änderung einiger bestehender Gesetze vor allem das Tierversuchsgesetz 2012 erlassen werden soll, dient der Umsetzung
der EU-Richtlinie 2010/63 in nationales Recht. Die Frist, bis zu der dies erfolgt sein soll, endet am 10. November 2012, die Regierung hat sich also bereits unter Zugzwang gebracht. Die Richtline selbst bedeutet auf europarechtlicher Ebene die Neufassung des Tierversuchsrechts auf der Grundlage des 1959 von William Russel und Rex Burch formulierten 3R-Prinzips, das auf drei Säulen ruht:

1) „Replace“ (Vermeiden): Ersatzmethoden ist, wenn immer möglich, gegenüber Tierversuchen Vorrang zu geben
2) „Reduce“ (Vermindern): die Anzahl der Versuchstiere ist auf ein Minimum zu beschränken
3) „Refine“ (Verbessern): Stress und Schmerz für die Versuchstiere sind so gering wie möglich zu halten.

In den Erläuterungen, die das Ministerium dem Gesetzesentwurf zur Seite gestellt hat, ist davon die Rede, dass diese Prinzipien schon bisher Bestandteil der österreichischen Rechtslage waren. Genau hier hakt Nikolaus Zacherl, ÖGMBT-Vorstand und Obmann der „Austrian Biotch Industry“ ein: „Es stellt sich die Frage, warum man überhaupt ein neues Gesetz geschaffen und nicht das bisher geltende novelliert hat.“ Das hätte bedeutet, mit Sachkenntnis die Forderungen der Richtlinie ins österreichische Rechtsgefüge einzufügen, diese Mühe habe sich aber niemand gemacht. Grundlegende Neuerungen gibt es nun aber einige, etwa die Einteilung von Tierversuchen nach Schweregraden, die detaillierteren Vor-

schriften zu Tötung und Betäubung von Tieren oder genaue Bestimmungen zur Verwendung bestimmter Tierarten. Was in der Wissenschaftlichen Community aber besonders für Aufregung gesorgt hat, ist die genaue Ausformulierung von Bestimmungen zur Genehmigung von wissenschaftlichen Tierversuchen. Das beginnt schon bei der Definition dessen, was überhaupt genehmigt werden soll.
Denn das, was nach § 25 ohne vorherige Genehmigung durch die zuständige Behörde nicht durchgeführt werden darf, wird im Gesetzes Text „Projekt“ genannt – und sehr weit definiert: Denn nach § 2 des Entwurfs ist ein Projekt „ein Arbeitsprogramm mit einem festgelegten wissenschaftlichen Ziel, das einen oder mehrere Tierversuche einschließt.“ Was möglicherweise einer legistischen Unachtsamkeit entsprungen ist, könnte, bei entsprechen der Auslegung oder Zusammensetzung des Genehmigungsgremiums weitreichende Fol-
gen haben: „Wenn das Arbeitsprogramm - wie die Competent Authorities der EU Mitgliedstatten festhalten - einer ganzen Forschungseinheit genehmigungspflichtig sein soll, dann wird der Schutz der Versuchstiere zum Vorwand für eine behördliche Kontrolle
der österreichischen Forschung genommen“, so Zacherl. Im Ernstfall wären bestimmte Forschungsrichtungen dann in ihrer Tätigkeit stark behindert, wenn man bedenkt, welche Bedeutung heute etwa Knock-out-Mäuse (bei denen gezielt bestimmte Gene „abgeschaltet“
werden) zur Beantwortung genetischer und systembiologischer Fragestellungen haben oder wie wichtig die Untersuchung einer Erkrankung im tierischen Modell ist.

Genehmigungsverfahren in der Kritik

Dass die Möglichkeit der Einflussnahme durch Gruppierungen, die Tierversuche am liebsten ganz verhindern wollen, nicht ganz von der Hand zu weisen ist, ergibt sich aus einer anderen Formulierung des Gesetzentwurfs. §26 Absatz 3 sieht nämlich vor, dass die Behörde „unabhängige Sachverständige“ einzubinden hat, wenn es um die Beurteilung der wissenschaftlichen Einsatzbereiche, der Versuchsgestaltung, der veterinärmedizinischen Praxis und der Tierhaltung und Tierpflege geht. Dass sich da Personen mit einschlägigen Interessen hineinreklamieren, ist nicht auszuschließen. Zumindest muss man aber um die Gefährdung der Vertraulichkeit des Schutzes geistigen Eigentums fürchten. Zacherl: „Wenn ein Vorhaben für eine solche Beurteilung vernünftig beschrieben ist, kann der Antragsteller unweigerlich identifiziert werden.“ Der wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Wettbewerbssituation komme dies sicher nicht zu Gute. Überhaupt lässt der Jurist, der lange Jahre administrativer Leiter des IMP war, kein gutes Haar an den vorgesehenen Bestimmungen zum Genehmigungsverfahren eines Tierversuchs. Bislang hat es drei voneinander unabhängige Bewilligungen gegeben: einmal für Einrichtung, einmal für den Leiter der Versuche und einmal für den konkreten Versuch selbst.

Wenn Einrichtung und Versuchsleiter einmal eine Genehmigung erhalten haben, mussten die damit zusammenhängenden Fragen nicht bei der Genehmigung jedes einzelnen Tierversuchs wieder gestellt werden. „Aus dem Entwurf des Ministeriums ist nicht klar ersichtlich, ob diese drei Genehmigung auch in Zukunft getrennt erteilt werden sollen“, gibt Zacherl zu bedenken. Wäre dem nicht so, würde das ein Vielfaches an administrativem Aufwand nach sich ziehen. Die Stellungnahme der ÖGMBT ist nicht die einzige, die von wissenschaftlicher Seite eingegangen ist. Die Wortmeldung der veterinärmedizinischen Universität ist zwar im Tonfall milder, in den verfolgten Perspektiven vielfältiger – auch hier gibt es aber Kritik an der vorgeschlagenen Verwaltungspraxis: Wenn zukünftig Herstellung und Zucht von Mutanten als Tierversuch angesehen werden, dann werde die Zahl an Tierversuchen drastisch ansteigen, ohne dass sich in der täglichen Praxis etwas ändere. Der Kritik der Wissenschaft, der Entwurf zum Tierschutzgesetz gefährde den Forschungsstandort Österreich schließt sich auch die „Pharmig“, der Verband der pharmazeutischen Unternehmen an, die ebenfalls massiv von der Gesetzesänderung betroffen wären: Tierschutz sei zweifellos ein sehr wichtiges Thema, zu dem sich die gesamte Gesellschaft bekenne, wie Generalsekretär Jan Oliver Huber gegenüber dem Chemiereport betonte. Die Pharmaindustrie müsse jedoch aufgrund gesetzlicher Vorgaben „bei der Entwicklung von Medikamenten in der präklinischen Phase Tierversuche durchführen. Wir haben keine Möglichkeit, dem zu entgehen.“ Außerdem ist laut Pharmig zu bedenken: Da Tierversuche vielfach der Entwicklung neuer Medikamente dienen, tragen sie auch dazu bei, Menschenleben zu retten. 

Der weitere Fahrplan für die Entstehung des neuen Gesetzes wird zeigen, ob diese Stimmen

Gehör finden. Laut Alois Haslinger, der im Wissenschaftsministerium das Referat „Tierversuchswesen und Gentechnik“ leitet, werde nun, nach dem Ende der Begutachtungsfrist, versucht, die verschiedenen Stellungnahmen zusammenführen. Derzeit könne man nicht sagen, welche Stimme in welchem Ausmaß Berücksichtigung finde. Erhalten dabei auch die zahlreichen Wortmeldungen von Tierschutz-Organisationen Gehör, dann wird es nicht zu weniger, sondern zu mehr Hindernissen für die Wissenschaft kommen. So fordert der „Verein gegen Tierfabriken“ etwa ein wesentlich strengeres Genehmigungsverfahren, das auf einem eigens dafür zu erstellenden Evaluierungskatalog beruhen soll, sowie die Parteistellung einer Versuchstier-Ombudsschaft. Medienberichten war zu entnehmen, dass Wissenschaftsminister Töchterle Gesprächsbereitschaft in diese Richtung gezeigt hat.

Published in ChemieReport 06/2012