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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

„Man kann die Grundlagenforschung nicht mit betriebswirtschaftlichen Augen sehen“

on 29 June, 2021

Für die Mitglieder der ÖGMBT haben die Förderprogramme des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung große Bedeutung. Christof Gattringer, seit April Präsident des FWF, im Gespräch über seine Erfahrungen im Wissenschaftsmanagement, finanzielle Herausforderungen und unterschiedliche Zugänge der Politik zur Grundlagenforschung

 

CR: Sie sind seit April Präsident des FWF. Wie waren Ihre Erfahrungen in den ersten beiden Monaten?
Sie waren von einem intensiven Lernprozess geprägt. Ich war früher selbst „Kunde“ des FWF und habe mehrere Projekte durchgeführt, darunter ein sehr umfangreiches. Interessant war, nun zu erfahren, wie das internationale Auswahlverfahren im Detail organisiert ist. Die finanzielle und die juristische Seite musste ich erst lernen, um das administrieren zu können.


CR: Was hat Sie an dieser Funktion interessiert?
Mein erster Schritt ins Wissenschaftsmanagement war die Funktion des Vizedekans der großen naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Da kam ich in Kontakt mit einem breiteren Feld an Disziplinen. Das hat sich in meiner Funktion als Vizerektor für Forschung und Nachwuchsförderung fortgesetzt. Und der Schritt an die Spitze des FWF bringt einen noch größeren Überblick über alle Disziplinen. Das ist eine sehr bereichernde Erfahrung.

CR: Inwiefern hilft Ihnen die Tätigkeit als Vizerektor für Forschung und Nachwuchsförderung in Ihrer nunmehrigen Funktion?
Sehr. Über 80 Prozent der bewilligten FWF-Mittel gehen jedes Jahr an Universitäten. Da ist es gut zu wissen, wie diese funktionieren. Wir bereiten gerade die Exzellenzinitiative unter dem Namen excellent=austria vor, wo die Unis viele Millionen Euro an Eigenleistungen einbringen werden. Wenn man versteht, wie Universitäten diese stemmen, hilft das sehr, die Regeln so aufzusetzen, dass sich die Universitäten darin wiederfinden. Wichtig ist, dass Forschende aus allen Disziplinen mit den Förderschienen gut zurechtkommen, die Naturwissenschaften und die Medizin genauso wie die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften.

CR: Sie sagten in der „Presse“, die Funktion des FWF-Präsidenten „kann keine reine Managementaufgabe sein. Das muss jemand machen, der den Wissenschaftsbetrieb versteht“. Wie meinen Sie das?
Der FWF ist für die Grundlagenforschung zuständig. Diese kann man nicht mit betriebswirtschaftlichen Augen sehen. Man braucht Verständnis, dass sie oft Forschungsfragen angeht, bei denen man nicht weiß, was herauskommt. Das unterscheidet sie von der anwendungsorientierten Forschung, wo man oft sehr klar eine Anwendung und ein Geschäftsmodell im Auge hat. Also ist es wichtig, zu verstehen, was Forschende benötigen, um an der Weltspitze forschen zu können.

CR: Sie haben Erfahrung mit dem Wissenschaftsbetrieb in Kanada, den USA und Deutschland. Was kann Österreich hinsichtlich Forschungsförderung von diesen Ländern lernen?
In meiner Zeit am MIT in Boston hat mich die Faszination für Grundlagenforschung in den USA begeistert. Wenn man dort sagte, an ist Postdoc am MIT, wollten alle wissen, was man macht. Die Förderung der Grundlagenforschung ist einfacher, wenn sie von Begeisterung getragen wird. Ich habe auch ein halbes Jahr an der staatlichen University of Washington in Seattle geforscht. Dort herrscht derselbe Spirit für Grundlagenforschung wie am MIT.


CR: Ihre Wahl erfolgte am 10. Feber. Am 17. Februar meldete der FWF:„Drei Förderungsschienen, die Programme Zukunftskollegs, doc.funds und #ConnectingMinds, müssen ausgesetzt erden. Zwei weitere Programme, die Forschungsgruppen und Spezialforschungsbereiche, müssen reduziert werden.“ Hat Sie das überrascht?
Ich war seit meiner Wahl in den Informationsfluss eingebunden und informiert. Ich wurde vom Interimspräsidenten des FWF, Gregor Weihs, dem nunmehrigen Vizepräsidenten für den Fachbereich Naturwissenschaften und Technik, toll mitgenommen und konnte mich schon vor meinem Dienstantritt gut einbringen. Das war notwendig, denn wir schließen demnächst die Dreijahresplanung ab. Hätte ich mich nicht eingebracht, wären viele Dinge, die mein Tun in den nächsten Jahren bestimmen werden, schon festgelegt gewesen. Das wollten ich und meine Kolleginnen und Kollegen im Präsidium vermeiden.


CR: Es kann Sie kaum gefreut haben, gewählt zu werden und als Erstes zu hören, es fehle an Geld.
Ich hoffe, dieses Geld kommt noch, konkret, die Mittel des Fonds Zukunft Österreich, der ehemaligen Nationalstiftung. Die Politik hat ja zugesagt, diesen mit Sommerbeginn aufzustellen. Manche Programme können nicht ausgeschrieben werden. Eines davon tut mir besonders weh, das Programm doc.funds, bei dem Gruppen von Doktoranden gefördert werden. Ich habe ein ähnliches vom FWF finanziertes Programm zehn Jahre lang geleitet und weiß, wie die Qualität von Doktoranden in solchen Programmen steigt.


CR: Wie viel Geld fehlt Ihnen pro Jahr?
Von der Nationalstiftung bekamen wir im langjährigen Durchschnitt 25 Millionen Euro, in den letzten beiden Jahren aber 40 Millionen. Dazu kommen 61 Millionen Euro pro Jahr, die wir bräuchten, um alle eingereichten Projekte zu fördern, die als exzellent beurteilt werden. Insgesamt fehlen uns also etwa 100 Millionen Euro pro Jahr.


CR: In einer Aussendung Ende April hieß es: „Bleibt es beim Ausfall der Förderfinanzierung über die Sonderdotierung der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung, wird sich die Situation für viele Forschende, speziell im Nachwuchsbereich, noch zusätzlich verschärfen.“ Wo müssen Sie ab wann wie viel kürzen?
Momentan haben wir einige Programme ausgesetzt. Wir hoffen, sie wieder hochfahren zu können, wenn der Fonds „Zukunft Österreich“ kommt. Wenn nicht, müssen wir überlegen, ob das Zurückfahren der Nachwuchs-Schienen die beste Option ist oder ob wir eine andere Lösung finden können. Wie diese aussieht, müssen die Gremien entscheiden.

CR: Am 27. April präsentierte Bundesminister Faßmann mit Ihnen und Uniko-Präsidentin Sabine Seidler das Programm „excellent=austria“, also die Leuchtturminitiative Grundlagenforschung, wo für drei Jahre 150 Millionen Euro und bis zu  70 Millionen Euro pro Projekt zur Verfügung stehen.  Was erwarten Sie sich davon?
Die bis zu 70 Millionen Euro werden über zehn Jahre an einzelne Teams vergeben. Das ist eine neue finanzielle Größenordnung für Forschende in Österreich. Das Programm zielt darauf ab, große Forschungsfragen anzugehen, die eine einzelne Arbeitsgruppe nicht stemmen kann. Daher müssen drei bis acht Forschungsstätten ein Konsortium bilden. Beantragt werden kann auch die Anschaffung teurer Forschungsinfrastruktur, etwa eines Elektronenmikroskops.


CR: Kritiker sagen: Auf der einen Seite fehlt dem FWF Geld  für die Basisprogramme. Auf der anderen Seite hat Herr Faßmann kein Problem mit 150 Millionen Euro für eine „Exzellenzinitiative“. Das ergebe wenig Sinn.
Ich habe Vertrauen, dass uns das Wissenschaftsministerium unterstützt. Die Idee der Exzellenzinitiative gibt es seit 15 Jahren. Da waren die Schwierigkeiten mit der Nationalstiftung und mit der COVID-19-Pandemie nicht absehbar.


CR: Bräuchte der FWF eine Person im Präsidium, die sich auf Fundraising versteht?
Mit der „alpha+ Stiftung“ bauen wir ein Fundraising-Programm. Aber in den USA schlägt sich die Begeisterung für die Wissenschaft in signifikanten Spenden privater Geldgeber nieder. Das muss sich in Europa erst entwickeln, hier wollen wir auf bundesweiter Ebene einen Beitrag leisten.


CR: Die Nationalratsabgeordnete Therese Niss (ÖVP) initiierte eine parlamentarische Petition „Rasche Umsetzung und Dotierung des Fonds Zukunft Österreich“. Frau Niss ist Vorstand der MIBA AG. Deren Chef ist Franz Peter Mitterbauer, der Vizepräsident der Industriellenvereinigung. Warum nicht über Niss die IV ansprechen? Ihre Präsidiumsmitglieder betonen stets die Bedeutung der
(Grundlagen-)Forschung. Also sollte ihnen diese etwas wert sein.
Der FWF ist gesetzlich eingerichtet. Es gehört zu den Aufgaben der Politik, das, was gesetzlich vorgesehen ist, adäquat zu finanzieren. Außerdem hat uns die Politik versprochen, unser Budget auf einen soliden Steigerungspfad zu bringen. Auf ein Modell aufzubauen, wo man ganz wesentlich auf Spenden angewiesen ist, wäre nicht nachhaltig.

CR: Wissenschaftsminister Faßmann sowie Klimaministerin Leonore Gewessler verlauteten zu der Petition, federführend seien Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sowie Finanzminister Gernot Blümel. Schramböck sagte, die Gespräche seien „infolge der COVID-19-Krise noch nicht abgeschlossen“, Blümel reagierte nicht. Nimmt die Bundesregierung die Grundlagenforschung zu wenig ernst?
So pauschal würde ich das nicht sehen, aber die Grundlagenforschung steht nicht immer an oberster Stelle. Gemeinsam mit anderen Förderorganisationen haben wir dem Finanzminister Blümel in einem Brief die Lage dargelegt, aber noch keine Antwort erhalten.

Published in ChemieReport 04/2021