viewer

 

 

 

Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Wenn die Biologie rechnet

on 12 July, 2018

In allen Bereichen der Biowissenschaften hat man es mit stetig größer werdenden Datenmengen zu tun. Entsprechend anspruchsvoll wird die – traditionell der Informatik zukommende – Aufgabe, sie im Hinblick auf eine biologische Fragestellung zu analysieren. An dieser Schnittstelle hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Disziplin etabliert, die in  beiden Welten gleichermaßen zu Hause ist: die Bioinformatik. Eine ihrer ursprünglichsten Aufgaben ist dabei die Auswertung von Daten, die aus Hochdurchsatz-Sequenzierungs-Experimenten stammen.  „Mit der heute am weitesten verbreiteten Illumina-Technologie erhält man Bruchstücke von 125 bis 150 Basen, aber davon 100 Millionen oder mehr“, erzählt Heinz Himmelbauer, Professor für Bioinformatik an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. Aus diesem Datenmaterial müsse das zugrunde liegende Genom erst einmal rekonstruiert werden. Die Herausforderungen bei dieser Aufgabe sind vielfältig: Daten können durch Sequenzierfehler verrauscht sein, zudem lassen sich nicht alle Bereiche des Genoms gleichermaßen einfach sequenzieren; je nach Region liegen daher unterschiedliche Mengen an Daten vor. Besondere Probleme bereiten repetitive Sequenzen, die noch dazu über weit voneinander entfernte Abschnitte des Genoms verstreut sein können.
Hat man einmal die Abfolge der Basenpaare in einem bestimmten Genom entziffert, stellt sich im nächsten Schritt die Aufgabe, zu bestimmen, wo sich darin die Gene befinden, also jene Abschnitte, die tatsächlich exprimiert werden. „Man benutzt dazu Erkennungssequenzen, die auch die Proteinmaschinerie in der Zelle dazu verwendet, an der richtigen Stelle abzulesen“, schildert Himmelbauer das Prinzip, nach dem man dabei vorgeht. Himmelbauers Gruppe hat zum Beispiel daran mitgewirkt, das Genom der Zuckerrübe zu rekonstruieren. „Von 27.000 von der Bioinformatik prognostizierten Genen konnten mehr als die Hälfte experimentell bestätigt werden“, sagt der Forscher.


Vom Genom zum Metagenom


Noch komplexer ist die Situation, wenn man nicht einen einzelnen Organismus, sondern eine ganze Gemeinschaft von Arten in ihrer natürlichen Umgebung betrachtet, etwa Mikroorganis-men, die in einer Pflanze oder in deren Wurzelbereich leben. Mit derartigen Interaktionen beschäftigt sich Günter Brader vom Kompetenzbereich „Bioresources“ des Austrian Institute of Technology (AIT): „In unserer Forschung gibt es zwei Hauptthemen: Welche Faktoren führen zur Ausbildung einer Krankheit? Und wie können Mikroorganismen der Pflanze  nützen?“ Brader ist nicht selbst Bioinformatiker, sondern benutzt die Leistungen der Bioinformatik als Instrument. Gerade bei nah verwandten Stämmen ist es aber nicht einfach, in der mikrobiellen Gemeinschaft genetische Information bestimmten Organismen zuzuordnen.
Noch schwieriger ist es aber herauszufinden, was die gefundenen Gene funktionell bedeuten, also z. B. welche Metaboliten produziert werden. Zur Beantwortung solcher Fragen ist es wichtig, dass die Bioinformatik gut mit den im Labor beschäftigten Biowissenschaftlern zusammenarbeitet. „Bei Bacillus-Stämmen wissen wir durch biochemische Untersuchungen schon viel über den Metabolismus und die Proteine, die dabei eine Rolle spielen, bei anderen Organismen ist noch viel weniger Information vorhanden“, erklärt Brader.


Der Stammbaum des Lebens


Arndt von Haeseler ist Leiter des CIBIV (Center for Integrative Bioinformatics Vienna) an den Max F. Perutz Laboratories (deren wissenschaftlicher Leiter er vor kurzem wurde): „Das CIBIV wurde 2005 von Universität Wien und Meduni Wien gegründet, mit dem Ziel, die Forschungseinrichtungen am Vienna Biocenter mit Modellbildung aus der Bioinformatik anzureichern“, erzählt der Forscher. Am CIBIV verfolgt man zwei verschiedene Vor-stoßrichtungen: Zum einen werden Daten aus molekularbiologi-schen Hochdurchsatzexperimenten analysiert. „Am Campus gibt es sehr viel Grundlagenforschung, die Fragen aufwirft, die nicht Standard sind. Wir helfen mit, diese zu analysieren", erzählt von Haeseler. Dennoch will er diese Arbeit nicht als Service verstanden wissen: „Wir entwickeln neue Analysemethoden und bilden dabei eine Brücke zur ‚reinen Mathematik‘. Das hat den Charakter einer echten Forschungskooperation, die für beide Seiten zu vielen guten Publikationen führt.“
Zum anderen versucht man am CIBIV anhand eines Vergleichs von DNA-Sequenzen evolutionäre Stammbäume zu rekonstruieren. „Dabei handelt es sich um eine Optimierungsaufgabe, bei der man den am besten mit den Daten zu vereinbarenden Baum finden will“, erklärt von Haeseler. Ultimatives Ziel ist die Rekonstruktion eines riesigen Stammbaums, in den Sequenzdaten zu allen Spezies eingeflossen sind, die man kennt. Erschwert wird das durch die Möglichkeit des horizontalen Gentransfers bei ein-fachen Lebensformen: „Je weiter man im Stammbaum zurückgeht, desto mehr ähnelt dieser eher einem Netzwerk“, so von Haeseler.
Die beschriebenen Gruppen sind nur einige Beispiele von Trägern und Anwendern bioinformatischen  Wissens. Wichtige Ressourcen findet man auch in der von Thomas Rattei geleiteten „Division of Computational Systems Biology” der Universität Wien. Hier interessiert man sich dafür, auf der Grundlage von bioanalytischen Daten großen Maßstabs ein Verständnis für biologische Systeme zu gewinnen – von einzelnen Arten bis zu ganzen Ökosystemen. Zusätzlich steht auch für die Bioinformatik mit dem Vienna Scientific Cluster Research Center eine universitätsübergreifende Infrastruktur auf dem Gebiet des High Performance Computing zur Verfügung.

 

Original Kolumne 4/2018