viewer

 

 

 

Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Von der Mikroskopie zur Nanoskopie

on 12 July, 2018

Die Superresolution Microscopy ist uns passiert“, sagt Gerhard Schütz, „eigentlich wollten wir das Verhalten einzelner Moleküle beobachten“. Schütz ist Professor für Biophysik an der TU Wien und vertritt sein Fachgebiet auch im Vorstand der ÖGMBT. In seiner Forschungsarbeit hat er sich darauf spezialisiert, Biomoleküle mit den Augen eines Physikers zu betrachten. Traditionell ging man davon aus, dass experimentell nur ein großes Kollektiv von Teilchen (ein „Ensemble“, wie der Physiker sagt) zugänglich ist, Aussagen über das Verhalten einzelner Moleküle also nur statistischen Gehalt haben. Doch in den vergangenen Jahrzehnten  wurden Methoden entwickelt, die diese Annahme schrittweise untergruben. Vor allem spezielle Techniken der Fluoreszenzmikroskopie eröffneten die Möglichkeit, den Molekülen, bildlich gesprochen, bei Arbeit und Bewegung zuzusehen: Koppelt man an eine biologisch wichtige Struktur einen Fluoreszenzfarbstoff, verdünnt dann sehr stark und beschränkt die mikroskopische Messung auf ein sehr kleines Volumen, geben die ausgesandten Photonen Auskunft über die Eigenschaften einzelner Moleküle.


Die mikroskopischen Techniken, die dabei entwickelt wurden, brachen aber gleichzeitig mit einem Paradigma, das die Lichtmikroskopie seit den Tagen von Ernst Abbe kontinuierlich begleitet hatte: Der deutsche Forscher hatte 1873 das nach ihm benannte Prinzip formuliert, nachdem das Auflösungsvermögen eines Mikroskops aufgrund der Beugung des Lichts durch dessen Wellenlänge und den Öffnungswinkel des Objektivs bestimmt ist – und daher praktisch kaum größer als die halbe Wellenlänge werden kann, bei sichtbarem Licht also etwa 200 Nanometer. „Man hat das Konzept der Beugungsbegrenzung nie hinterfragt“, sagt Schütz. Dabei hätte man es auch anders sehen können: „Worauf es eigentlich ankommt, ist das Verhältnis von Signal zu Rauschen.“ Damit dieses möglichst hoch ausfällt, hat man sich in jüngerer Zeit einige Tricks einfallen lassen, die das Beugungsproblem umgehen. Einer dieser Tricks: Reagieren die fluoreszierenden Moleküle (man spricht auch von „Fluorophoren“) einer Probe mit Sauerstoff, wird deren Fluoreszenz durch intermolekulare Energieübertragung gelöscht. „Man kann zwar nicht beeinflussen, welches Fluorophor gerade mit einem Sauerstoffmolekül reagiert, aber es ist möglich, die Bedin-gungen so zu wählen, dass nur wenige emittierende Fluorophore übrigbleiben“, erklärt Schütz die Überlegung dahinter. Die wenigen verbliebenen können dann aber sehr genau lokalisiert werden: „Die Genauigkeit, mit der man den Aufenthaltsort bestimmen kann, ist nicht durch die Beugung, sondern durch das Rauschen bestimmt“, so Schütz. Realistisch betrachtet komme man dabei auf Werte von etwa 20 Nanometer – immerhin ein Zehntel dessen, was das Abbe-Limit voraussagt.
Ein anderer Trick besteht darin, die Fluoreszenz durch stimulierte Emission zu verhindern: Dabei wird das Fluorophor mit Licht hoher Intensität bestrahlt und so die Emission von Photonen derselben Wellenlänge erzwungen. Spontane Fluoreszenz kann dann nicht mehr stattfinden. Lässt man diesen Prozess nur in einem ringförmigen Gebiet rund um das Fluoreszenzmaximum zu, erhält man einen scharfen Peak, der eine wesentlich höhere Auflösung zulässt als herkömmliche Fluoreszenzmikroskope.


Biologische Fragestellungen, neu formuliert


Doch die neuen Mikroskopie-Methoden sind für die Biophysiker nur Mittel zum Zweck. Das eigentliche Ziel ist, den Lebenswissenschaften durch die Beschreibungsformen des Physikers einen wichtigen Mosaikstein hinzuzufügen. Schütz’ Arbeitsgruppe beschäftigt sich beispielsweise mit jenen Vorgängen, mit denen das Immunsystem zwischen „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ oder auch zwischen „harmlosem Selbst“ und „gefährlichem Selbst“ unterscheiden kann. Eine Vielzahl an Proteinen ist zum Beispiel beteiligt, wenn T-Zellen ein Antigen identifizieren. Doch wie wirken sie im mechanistischen Detail zusammen, um die spezifische Reaktion der Zelle auszulösen, wie sind sie räumlich und zeitlich in der Zellmembran organisiert? Nicht alles, was dazu an Vorstellungen existiert, ist wirklich gut experimentell gestützt. „Es gibt eine verbreitete Theorie, dass die Proteine der Zellmembran dabei Nanocluster bilden. Wir konnten zeigen, dass dies durch die Ergebnisse der hochauflösenden Mikroskopie nicht eindeutig bestätigt werden kann.“ Zwar gebe es räumliche Häufungen gefundener Lokalisation von Molekülen – doch könne  eine Mehrfachzählung nicht ausgeschlossen werden: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass viele vermeintliche Nanocluster eigentlich auf solche Mehrfachzählungen zurückgeführt werden können“, so Schütz.


Was die Physiker mit solchen Vorstößen in die biowissenschaftliche Forschung einbringen können, ist, komplexe Probleme so umzuformulieren, dass neue Einsichten möglich werden: „Derzeit sind wir etwa hinter der Kraft her. Diese Größe entdeckt die Biologie gerade erst für sich“, erzählt Schütz. Wenn man verstehen wolle, wie ein T-Zell-Rezeptor seine Liganden über eine Bindung von an sich geringer Affinität erkenne, Mikroskopie nicht Kräfte berücksichtigen, die auf die Membran einwirken, in die der Rezeptor eingebettet ist. „Das Cytoskelett übt einen ständigen Zug auf die Zellmembran aus. Das ist eine ganz andere Situation als bei einem Protein in Lösung“, so Schütz.

 

Original Kolumne 5/2017