Die kleinen Helfer der Landwirtschaft

on 25 February, 2020

Mikroorganismen im Agrareinsatz
Der Einsatz von Bakterien und Pilzen zur Unterstützung von Nutzpflanzen liegt im Trend.
Obwohl viele Grundlagen erst erforscht werden müssen, wächst die Zahl der Produkte auf dem Markt stetig an.

Bereits zum dritten Mal fand von 2. bis 5. Dezember in Wien die Konferenz „Micrope“ (die Eigenschreibweise „miCROPe“ macht das Wortspiel mit den englischen Ausdrücken „microbe“ für Mikroorganismus und „crop“ für Feldfrucht noch deutlicher) statt. Die Orangerie von Schloss Schönbrunn wurde damit erneut zum Treffpunkt von Experten aus aller Welt, die sich mit dem Einsatz von Mikroorganismen in der Landwirtschaft beschäftigen. „Wir konnten mehr als 300 Teilnehmer aus 33 Ländern begrüßen“, erzählt Angela Sessitsch, die Erfinderin der Konferenz und Leiterin des Organisationskomitees. Die Veranstaltung unter-scheidet sich von vielen wissenschaftlichen Fachkongressen durch ihr innovatives Konzept: Sie will eine Brücke zwischen der Erforschung der (molekular-)biologischen Grundlagen der Wechselwirkungen zwischen Bakterien, Pilzen und Pflanzen und ihrer wirtschaftlichen Nutzung schlagen. „Es gibt viele Kongresse, die sich nur mit Wissenschaft oder nur mit Anwendungen beschäftigen. Aber diese Verbindung hat gefehlt“, sagt Sessitsch, die die Competence Unit Bioresources am Austrian Institute of Technology (AIT) leitet. Co-Veranstalter der Konferenz ist daher auch die ÖGMBT, die einen solchen Brückenschlag als eine ihrer Grundideen verfolgt.


Entsprechend weit war daher der thematische Bogen der Micrope gespannt: „Wir haben gleich mit einer Session zu Bei-spielen begonnen, in denen Systeme auf mikrobieller Basis bereits erfolgreich im landwirtschaftlichen Kontext angewandt werden“, so Sessitsch. Danach folgten Vortragsstränge über die molekulare Basis der Interaktionen zwischen Mikroben und Pflanzen und solche, die den Schwerpunkt darauf legten, dass man meist ganze bakterielle Gemeinschaften (also Mikrobiome) im Boden und an der Nutzpflanze vorfindet. Ausgestattet mit diesem Wissen wandte man sich wieder den in der angewandten Forschung untersuchten Vorstoßrichtungen zu: der Bekämpfung von Schädlingen und Unkraut (englisch „biocontrol“) und der Verbesserung von Nährstoffverfügbarkeit und abiotischer Stresstoleranz („Bio-stimulanzien“).

Einige Referate geladener Vortragender waren besondere Highlights der heurigen Ausgabe: So ging Steven Lindow von der University of California in Berkeley auf die vielfältigen Wechselwirkungen von an der Oberfläche von Pflanzen lebenden Bakterien – sowohl untereinander als auch mit der Wirtspflanze – ein und sprach über die Abhängigkeit der Populationsgröße von den Kohlenstoffquellen, die die Pflanze zur Verfügung stellt. Aufmerksamkeit erregte auch die „Closing Lecture“ von Jos Raaijmakers vom Netherlands Institute of Technology über die Möglichkeiten eines gezielten Engineerings von Mikrobiomen, um bestimmte Phänotypen zu realisieren.


Nutzbringende Lebens-gemeinschaften


Die Anwendung von Mikroorganismen in der Landwirtschaft ist nicht neu, die Thematik hat in den vergangenen Jahren jedoch enorm an Aufmerksamkeit gewonnen. Wenn Leguminosen (Pflanzen mit Hülsenfrüchten) traditionell als natürliche Gründüngung verwendet wurden, so beruhte dieser Effekt darauf, dass sie auf-grund einer Wechselwirkung mit Knöllchenbakterien (Rhizobien), die Stickstoff fixieren können, einen klaren Vorteil auf kargen Böden besitzen. Flüssige Formulierungen auf Rhizobien-Basis sind schon seit längerem im Handel erhältlich. Auch ist die stäbchenförmige Bakterienart Bacillus thuringiensis, die ein Toxin gegen viele Insekten- und Nematodenarten produziert, in der biologischen Schädlingsbekämpfung etabliert.

Doch in den vergangenen Jahren ist das Interesse an der Thematik stark angestiegen. Das hat auch mit den enormen Erkenntnisfortschritten in der Mikrobiologie zu tun. „Kein höherer Organismus lebt für sich allein, sondern gemeinsam mit einer Vielzahl von Mikroorganismen zusammen“, erklärt Sessitsch im Gespräch mit dem Chemiereport. Dabei handelt es sich nicht um eine bedeutungslose Lebensgemeinschaft, vielmehr sind viele Funktio-nen von den Synergien abhängig, die zwischen der Welt des Klei-nen und der des Großen bestehen – das ist beim Menschen nicht anders als bei der Pflanze. Konzeptiv wurde dem durch die sogenannte „Holobiont“-Theorie entsprochen: Der schon 1991 von der Biologin Lynn Margulis geprägte Ausdruck will deutlich machen, dass solche symbiontisch-funktionalen Lebensformen nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel sind. Manche Wissenschaftler sprechen daher auch von einem Metaorganismus, dem nicht ein einzelnes Genom, sondern ein „Hologenom“, bestehend aus dem Erbmaterial des Eukaryoten und der ihn besiedelnden Prokaryoten, entspreche.


Die Bedeutung des Mikrobioms etwa für die Funktion der menschlichen Verdauung zählt derzeit zu den ganz heißen Forschungsgebieten in der Medizin, nach und nach lernt man nun auch die Bedeutung mikrobieller Gemeinschaften für pflanzli-ches Wachstum kennen und verstehen. „Bei einer Pflanze bedeu-tet dies etwa, dass es einen funktionalen Unterschied bedeutet, ob sie in Boden A oder in Boden B wächst“, sagt Sessitsch. Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt trifft auf diesem Gebiet aber auf prinzipielle Schwierigkeiten: „Ergebnisse sind oft nicht repro-duzierbar. Vieles basiert noch auf Versuch und Irrtum, weil die genauen molekularen Mechanismen nicht bekannt sind“, gibt Sessitsch zu bedenken. Auch stehe die Auswahl geeigneter Stämme für die landwirtschaftliche Anwendung noch in den Kinderschuhen: „Man testet vieles im Labor. Zwischen der Laborsituation und der Anwendung auf dem Feld liegen aber Welten.“
Um marktfähige Produkte zu erhalten, muss zudem noch viel Entwicklungsarbeit in die Formulierung von Mikroben enthalten-den Präparaten investiert werden. Auch das ist einer der Arbeits-schwerpunkte im Verantwortungsbereich von Sessitsch am AIT: „Man muss eine große Zahl von Zellen in die Formulierung brin-gen und dennoch eine hohe Stabilität erzielen.“ Schließlich müssen regulatorische Hürden genommen werden, die nicht zu unterschätzen sind (siehe Kasten). Dennoch: In vielen Fällen kann der Einsatz von Präparaten auf der Basis von Bakterien oder Pilzen eine Alternative oder Ergänzung zu synthetischen Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln sein – auch wenn sich vieles heute noch im Forschungsstadium befindet.

Konzepte wie die Holobiont-Theorie legen auch nahe, dass die „Verabreichung“ von Präparaten, die Mikroorganismen enthalten, nicht die einzige Möglichkeit einer Intervention auf Basis des Mikrobioms ist. „Wenn man Wissen über die in einem bestimmten Habitat vorkommenden Bakterien gesammelt hat, kann man Vorhersage-Tools entwickeln, die Aussagen zulassen, ob ein bestimm-ter Boden für eine Nutzpflanze geeignet ist oder nicht.“ Dennoch sind viele Bemühungen, gerade der unternehmerischen Entwicklungsarbeit, auf marktfähige Präparate ausgerichtet. Prinzipiell kommen dafür neben Bakterien auch Pilze infrage – wenn man etwa an die vielfältigen Funktionen von sogenannten Mykorrhiza-Pilzen im Wurzelbereich von Pflanzen denkt. „Bakterien sind aber leichter kultivierbar und kommen wesentlich öfter zum Einsatz“, so Sessitsch. Noch viel weniger ist über die neben den Bakterien zweite Gruppe von prokaryotischen Einzellern, die Archaeen, bekannt: „Es kommen auch Archaeen in Pflanzen vor, wenn auch nicht in besonders großen Mengen – was aber nicht heißt, dass sie nicht ebenfalls eine großen Bedeutung haben können.“


Unternehmen setzen auf mikrobiologische Lösungen


Auch österreichische Firmen haben sich dem Einsatz von Mik-roorganismen im Acker-, Obst- und Weinbau zugewandt. Das Unternehmen Bio-Ferm z. B. ist als Spinoff des IFA-Tulln, eines Departments der Universität für Bodenkultur, entstanden und wurde dann von der Erber Group gekauft. Bio-Ferm hat Produkte auf den Markt gebracht, die gegen Grauschimmelfäule (Botrytis cinerea, beim Anbau von Wein, Erdbeeren und Tomaten) sowie gegen Feuerbrand (Erwinia amylovora) und Lagerpathogene in Obstkulturen angewendet werden. Der Wirkmechanismus beruht auf der Konkurrenz zu den Schädlingen: „Die hefeähnlichen Pilze, die wir verwenden, nehmen den Pathogenen Platz und Nährstoffe weg. Im Unterschied zu den Schadorganismen wachsen Hefen sehr schnell“, erklärt Christina Donat, technische Direktorin von Bio-Ferm. Das Unternehmen lebt vom internationalen Geschäft; wichtigster Markt sind die USA, wo die regulativen Anforderun-gen weitaus einfacher zu nehmen sind als in Europa: „Unsere Produkte sind dort daher in einer größeren Zahl von Kulturen zugelassen als hier.“

Auch Kwizda, ein in Familienbesitz befindliches österreichi-sches Chemie- und Pharmaunternehmen, hat sich schon seit längerem mit der Entwicklung und Vermarktung von Mikroorganismen für eine nachhaltige Landwirtschaft beschäftigt. Für den Weinbau in Österreich wurde beispielsweise ein Pflanzenschutzmittel auf Basis des natürlich vorkommenden Bodenpilzes Gliocladium catenulatum weiterentwickelt. Es wird im konventionellen und biologischen Spritzprogramm für Botrytis genutzt und ersetzt ein konventionelles Fungizid. Für Ackerkulturen wurde ein auf Trichoderma asperellum basierendes Bodenfungizid neu zugelassen.  „Damit reduzieren wir chemische Rückstände, aber auch das Risiko einer Resistenzbildung“, sagt dazu Catalina Bardewyk, Business Unit Manager New Technologies bei der Kwizda Agro GmbH. Ein anderer mikrobiologischer Pflanzenhilfsstoff, basierend auf dem Bodenpilz Beauveria bassiana, wird seit 2019 in der integrierten Bekämpfung von Engerlingen eingesetzt. Die Entwicklung schreitet auch bei Kwizda rasch voran: „Unsere Pipeline ist gefüllt, und wir freuen uns, in den nächsten Jahren substanzielle Innovationen im Bereich Ackerkulturen, Obst- und Weinbau sowie Forst international einführen zu können“, sagt Bardewyk.


Auch international wird viel an derartigen Lösungen gearbeitet – und das nicht nur bei den großen Pflanzenschutzmittel-Herstellern. Sessitsch̓ Gruppe kooperiert beispielsweise mit dem israelischen Startup-Unternehmen Lavie Bio, das eine Entwicklungs-Pipeline aufbaut, die sowohl Biostimulanzien als auch Biopestizide umfasst. Die aus dem Biotechnologie-Unternehmen Evogene ausgegründete Firma setzt auf einen Computerunterstützten Ansatz, um aus der Fülle verfügbarer Genomdaten Vorhersagen über das gezielte Design mikrobieller Systeme zu machen. Das US-Unternehmen Indigo Ag hat eine (nicht-exklu-sive) Lizenz für eine von den AIT-Forschern entwickelte Technologie erworben, mit der Mikroorganismen in Saatgut eingebracht werden können. „Wir bringen die Präparate dabei nicht von außen auf das Saatgut auf, weil es auf diesem Weg viele störende Chemikalien gibt, sondern besprühen die Blüten, schon bevor sich Samen bilden. Die Mikroorganismen sind dann im Saatgut schon enthalten und wachsen nach der Keimung der Pflanze wei-ter“, erklärt Sessitsch das Prinzip.

Published in ChemieReport 01/2020