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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

"Schwatzbude" statt wissenschaftlicher Beratung?

on 06 October, 2014

Diskussion um Chief Scientific Adviser der EU-Kommission

Die ÖGMBT unterstützt die breite Front wissenschaftlicher Organisationen, die sich für den Erhalt
des „Chief Scientific Advisers“ des EU-Kommissionspräsidenten einsetzen.

 

Um die Position des „Chief Scientific Advisers“ (CSA) des EU-Kommissionspräsidenten ist ein heftiger Streit entbrannt. Die
Rolle wurde von Manuel Barroso geschaffen; sie soll dem Präsenten darlegen, was zu bestimmten Fragen „wissenschaftlicher Konsens“ ist, und ihn „zu allen Aspekten von Wissenschaft, Technik und Innovation“ informieren. Ende Juli forderte eine Gruppe von Umwelt-NGOs die Abschaffung dieser Position, da die Konzentration in einer Person „eingehende wissenschaftliche Untersuchungen durch die Direktorate der Kommission im Zuge der Entscheidungsfindung“ unterminiere. Konkret stießen sich die Aktivisten an der Haltung der bisherigen Amtsinhaberin
Anne Glover zum Einsatz gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft, dessen Sicherheit sie wiederholt als wissenschaftlichen Konsens dargestellt hatte. Sie forderten im Gegenzug, die Position durch eine „Vielfalt an unabhängigen, multi-disziplinären Quellen mit einem Fokus auf das öffentliche Interesse“ zu ersetzen – „eine Berater-Schwatzbude, in der alle möglichen Interessensgruppen und Lobbyvertreter
ihren Senf zu wissenschaftlichen Themen abgeben, ob qualifiziert oder nicht“, wie das Laborjournal treffend formulierte.

Aufschrei in der Wissenschaft


Der Vorstoß der NGOs rief in der wissenschaftlichen Community einen Sturm der Entrüstung hervor. Eine ganze Reihe an Organisationen
wandte sich mit offenen Briefen an den neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, darunter „Sense About Science“ (eine gemeinnützige Vereinigung, die sich für Wissenschaftlichkeit in der öffentlichen Diskussion einsetzt), die European Plant Science Organisation (EPSO), die Europäische Gemeinschaft der Wissenschaftsjournalisten (EFSJ), der Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V. sowie neun medizinische Organisationen, die sich für ihren Aufruf zum Erhalt des CSA zusammentaten. Auch ÖGMBT-Präsident und Forschungsvizerektor der BOKU Josef Glößl schließt sich dieser Meinung an: „Ich habe den offenen Brief der EPSO sowie – in meiner Funktion als ÖGMBT- Präsident – den von ‚Sense About Science‘ unterzeichnet, da ich davon überzeugt bin, dass die Position eines Chief Scientific Advisors für den Kommissionspräsidenten und damit für Europa eine wichtige ist und eher gestärkt als abgeschafft werden sollte“, so Glößl im Gespräch mit dem Chemiereport. Auch zeigte sich der ÖGMBT Präsident verwundert, dass die Diskussion im deutschsprachigen Raum kaum aufgegriffen wurde, während in englischsprachigen Medien breit über die Auseinandersetzung berichtet wurde. „Selbst Australien und die USA sind besser über den Konflikt informiert als die EU-Öffentlichkeit“, meinte die Biologin Brynja Adam-Radmanic mit bissigem Unterton
in ihrem Blog wissensküche.de.

Dass die Debatte um die Position gerade an der Grünen Gentechnik entflammt ist, ist kein Zufall und zeigt, dass der Vorstoß der NGOs selbst von Interessen geleitet ist. Gerade bei diesem Thema klaffen in Europa öffentliche Meinung und wissenschaftlicher Befund eklatant auseinander. Daher fürchten Umweltorganisationen offenbar besonders, dass bei einer Stärkung der Position des CSA so mancher Kampagne die Grundlage entzogen wird. Demgegenüber betont der offene Brief von „Sense About Science“, dass die Aussage „Gentechnisch
veränderte Organsimen sind nicht risikoreicher als andere Technologien der Pflanzenzüchtung“ von einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Organisationen getragen wird, darunter der Europäischen und der Afrikanischen Akademie der Wissenschaften, der WHO und der American Association for the Advancement of Science. Gerade – aber nicht nur – in derartig polarisierten Debatten sei es daher umso wichtiger, dass wissenschaftlich fundierter Rat ohne Furcht und Vorlieben gegeben werde. Genau dafür brauche es einen Chief Scientific Adviser auf europäischer Ebene.

Original Kolumne 06/2014