Verbesserte medizinische Versorgung führt gesamtwirtschaftlich zu Kostensenkung und Steigerung der Produktivität. Die Steigerung der Arzneimittelkosten liegt seit 2009 teilweise unter der Inflationsrate. Marktzugangshemmnisse und Defizite im Gesundheitssystem fordern die Industrie heraus.
life-science: Sie weisen immer wieder auf den gesellschaftlichen Wert innovativer Medikamente hin. Worin liegt dieser?
M. Reiberg: Neben der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Gesundheitswirtschaft wird immer mehr auch verstärkt der gesellschaftliche Nutzen pharmazeutischer Innovationen diskutiert. So verursachen z.B. chronische Erkrankungen, die auch in Österreich immer weiter an Bedeutung gewinnen, zum einen Kosten für die Versorgung der Erkrankten und zum anderen sind sie auch für bedeutende volkswirtschaftliche und soziale Kosten infolge von Arbeitsunfähigkeit, frühzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und Verlust an Produktivität verantwortlich. Eine verbesserte medizinische Versorgung durch innovative Arzneimittel und Prozesse können zu einer Minderung dieser Kosten bzw. zu einer Steigerung der Produktivität beitragen.
Innovationen bringen aber erst durch die erfolgreiche Markteinführung gesellschaftlichen Nutzen. Damit eine nachhaltige Versorgung möglich ist bzw. innovative Medikamente überhaupt beim Patienten ankommen, muss deren Finanzierung nachhaltig sichergestellt werden.
life-science: Sie sprechen weiters von Mythen, die Sie mit Zahlen und Fakten ausräumen möchten. Welche sind dies?
M. Reiberg: Innovative Arzneimittel haben in der Erforschung und Entwicklung substanzielle Kosten. Diesen steht jedoch dieser hohe gesamtökonomische Wert gegenüber. Ich möchte hier zu einer rationalen und realistischen Sicht der Dinge bezüglich Forschungs- und Entwicklungskosten beitragen. So werden die Kosten eines Arzneimittels bis zur Markteinführung etwa auf 1,5 Mrd. € geschätzt, die Zeit von der Entdeckung einer potentiellen Substanz bis zur Markteinführung dauert bis zu 20 Jahre. Ich möchte aber auch mit dem Mythos der immer wieder propagierten „Kostenexplosion Arzneimittelkosten“, die ja nie stattgefunden hat, aufräumen. So liegt die effektive Steigerung der Arzneimittelkosten seit 2009 teilweise sogar unter der Inflationsrate.
life-science: Die pharmazeutische Industrie spricht häufig von einem kontinuierlich schwieriger werdenden Zugang für innovative Medikamente zum Markt. Worin bestehen die Schwierigkeiten konkret?
M. Reiberg: Wir haben in Österreich prinzipiell ein hohes Niveau in der Versorgung mit Arzneimitteln. Dies gilt es abzusichern und für die Herausforderungen der Zukunft – vor allem demografische Entwicklung und medizinischer Fortschritt - nachhaltig sicherzustellen.
Ungeachtet dessen sehen wir insbesondere für den Zugang zu innovativen Arzneimitteln substanzielle Hürden, die insgesamt eine noch ausbaufähige Innovationsfreundlichkeit des Systems ergeben. Beispiele hierfür sind etwa:
- Der Vergleich neuer, patentgeschützter, innovativer Substanzen mit Generika
- Keine adäquate Berücksichtigung von Anwender-/ Patientennutzen
- Keine Berücksichtigung makroökonomischer Nutzendimensionen
- Prozessdefizite im Erstattungsprozess
Darüber hinaus sehen wir Systemdefizite im österreichischen Gesundheitswesen, hier vor allem
- „Silo-Budgeting“ ohne umfassende Nutzenbetrachtung
- Auseinanderklaffen von Einnahmen-/Ausgaben-/Aufgabenverantwortung im Gesundheitswesen in Österreich
- Krankenhauslastigkeit des Systems
- Bestehende Ineffizienzen in Strukturen und Prozessen
life-science: Der Zugang zu Medikamenten erfolgt heute nicht mehr nur über Arzt und Apotheker sondern immer mehr über online-Portale. Was müsste gewährleistet sein, damit für den Patienten ein sicherer online Medikamentenhandel möglich ist.
M. Reiberg: Damit ein legaler, fairer und für den Patienten sicherer online Medikamentenhandel möglich ist
- muss eine Nachvollziehbarkeit des gesamten Prozesses von Produktion bis POS (Point of Sale) geregelt sein. Dies wird durch die Serialisation gewährleistet.
- muss es einheitlich hohe und laufend überprüfte Qualitätsstandards für alle Anbieter geben.
life-science: In welchen Therapiegebieten sehen Sie die großen Betätigungsfelder für die medizinische Forschung in der Zukunft?
M. Reiberg: Zu dieser Frage fällt es schwer, in der gebotenen Kürze einen umfassenden Überblick zu geben. Jedenfalls sind die Pipelines der forschenden Pharmaunternehmen gut gefüllt, um den „unmet medical need“ auch in Zukunft weiter zu reduzieren. Besonders hervorheben darf ich an dieser Stelle den Bedarf – und die Forschungserfolge - bei chronischen Krankheiten, in der Onkologie, bei HIV/Aids, bei Hepatitis, aber auch bei Impfungen – der nach sauberem Trinkwasser wichtigsten Gesundheitsintervention.
Vielen Dank für das Gespräch.
DI Gisela Zechner
life-science Karriere Services


