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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Der Patient als System

on 10 June, 2013

Das Deutsche Forschungsministerium hat ein Forschungs und Förderkonzept vorgelegt, das den neuen Vorstoß der Systemmedizin auf den Weg bringen will. Dabei sollen die Fortschritte der mathematischen Modellierung für die Klinik genutzt werden.

 

In den vergangenen Jahren hat der Begriff „Systembiologie“ in den Biowissenschafteneine feste Verankerung gefunden. Meist wird darunter die Verwertung von Daten aus den Hochdurchsatzdisziplinen (Genomik, Proteomik, Transkriptomik, Metabolomik …)
verstanden. Etwas breiter wird die Bedeutung, wenn man unter Systembiologie die mathematische Modellierung aller zu einem lebenden System zur Verfügung stehenden quantitativen Größen versteht. In einem iterativen Prozess werden so aus Daten Modelle geschaffen, diese generieren Vorhersagen, die wiederum die Gewinnung neuer Daten stimulieren. Mit dieser breiteren Definition ist nach Ansicht
von Frank Laplace eine gute Grundlage dafür geschaffen, die Ergebnisse dieser für die Biowissenschaften neuartigen Forschungsfronten auch in die medizinische Praxis zu übertragen – ein Vorstoß, für den in jüngster Zeit der Ausdruck „Systemmedizin“ geprägt wurde. Laplace ist Leiter des Referats Lebenswissenschaftliche Grundlagenforschung im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Berlin. Die deutschen Nachbarn haben im vergangenen Jahr ein Forschungsund Förderkonzept, „Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin“, präsentiert, mit dem die Politik auf die aktuellen Herausforderungen des Gesundheitssystems reagieren will. Laplace: „Die Lebenserwartung der Menschen steigt, dadurch häufen sich aber auch Herz-Kreislauf-, Krebsund metabolische Erkrankungen. Die Kosten für die Entwicklung neuer Medikamente nehmen immer weiter zu, dennoch wirken auch die besten unter ihnen nur bei einem Bruchteil der Patienten.“ Die in den vergangenen Jahrzehnten gewonnenen Einsichten in die molekularen Netzwerke des Körpers, verbunden mit den außerordentlichen Fortschritten der Informationsverarbeitung, können hier neue Möglichkeiten eröffnen.

 

Bildung von Konsortien als zentraler Schritt

Das nun präsentierte Konzept baut auf die in Deutschland auf breiter Ebene betriebene biowissenschaftliche Grundlagenforschung
auf, die frühzeitig entsprechend Kapazitäten in der Genomik und Systembiologie etabliert hat. Auf dieser Basis wurden mehrere Module
definiert, die die klinische Nutzung der Ergebnisse dieser Disziplinen auf den Weg bringen sollen. Erste und zentrale Maßnahme
ist dabei die Etablierung von Forschungskonsortien, die die Wissenschaftler der erforderlichen Fächer zusammenbringen: Biologen, Mediziner, Mathematiker, Informatiker sind erforderlich, um eine multidisziplinäre Vorgehensweise zu ermöglichen. Für dieses Modul ist die Ausschreibung bereits abgeschlossen, im September soll bekannt gegeben werden, welche Anträge den Zuschlag erhalten werden. Für fünf Jahre stehen dabei insgesamt 70 Millionen Euro zur Verfügung. Ein zweites Modul soll sogenannte „Demonstratoren“ der individualisierten Medizin vor den Vorhang bringen – Pilotprojekte, die den direkten Nutzen der in Hochdurchsatzverfahren gesammelten Daten für Diagnose, Therapie und Prävention aufzeigen können. „Individualisiert“ meint dabei, persönliche genetische Voraussetzungen eines Patienten zu berücksichtigen und möglichst passgenau darauf abgestimmte Therapien daraus abzuleiten. Geplant sind darüber hinaus Maßnahmenbündel zur gezielten Nachwuchsförderung und zu „Zukunfts- und Querschnittsthemen“, die sich weitgehend aus dem weiteren Gang der Dinge selbst ergeben werden. Wichtig ist für Laplace auch das Modul „Internationalisierung“, das die Möglichkeit zur Beteiligung an internationalen Großforschungsvorhaben schaffen soll. „Im Rahmen einer Coordination and Support Action zur Personalisierten Medizin gibt es bereits eine Kooperation mit Institutionen aus Österreich“, erzählt Laplace, der es durchaus begrüßen würde, wenn, aufbauend auf den guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit der beiden Länder, auch eine verstärkte wissenschaftliche Kooperation auf dem Gebiet der Systemmedizin entstünde.

 

Original Kolumne 04/2013