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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Grundlagenforschung ist kein Consulting-Unternehmen

on 27 March, 2017

Mit 1. September hat das neue FWF-Präsidium unter dem Vorsitz von Klement Tockner seine Arbeit angetreten.
Wir sprachen mit Tockner über seine Ideen zu Positionierung und Aufgabe des FWF.

Zur Person

Klement Tockner wurde 1962 in Schöder geboren und studierte Zoologie und Botanik an der Universität Wien. Nach einer Tätigkeit als Berater für Gewässermanagement in Afrika verbrachte er viele Jahre in der Schweiz, wo er an der ETH Zürich und am Schweizer Wasserforschungsinstitut EAWAG forschte. 2007 übernahm er die Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin sowie einen Lehrstuhl für Aquatische Ökologie an der Freien Universität Berlin. 2016 wurde er zum neuen, hauptamtlichen Präsidenten des FWF gewählt.

Der FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) hat eine bewährte Tradition als Instrument der wissenschaftlichen Selbstverwaltung. Doch neue Rahmenbedingungen erfordern organisatorische Flexibilität: Mit der im Juli vergangenen Jahres beschlossenen Wissenschaftsfondsnovelle wurden wesentliche Veränderungen in den Gremien des FWF auf den Weg gebracht. Erstmals wurde die Funktion eines hauptamtlich agierenden Präsidenten geschaffen, dem neben drei wissenschaftlichen Vizepräsidenten eine kaufmännische
Vizepräsidentin zur Seite steht. Im Zuge eines neu geordneten Verfahrens wurde Klement Tockner, bisher Leiter des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, zum neuen FWF-Präsidenten bestellt. Mit 1. September hat er sein Amt angetreten. Wir treffen
Tockner bereits im Vorfeld am Rande der Alpbacher Technologiegespräche. Entsprechend vorsichtig ist der Wissenschaftler in seinen Aussagen: „Es wäre nicht klug, vorzeitig mit großen Ideen in die Öffentlichkeit zu gehen, die nicht breit abgestimmt sind.“ Dennoch zeigt Tockner einen klaren Blick auf die Aufgaben der Grundlagenforschung: „Erkenntnisgetriebene Forschung ist Grundbaustein und Grundrecht einer aufgeklärten Gesellschaft“, sagt er und greift damit das Generalthema des diesjährigen Forums Alpbach, „Die neue Aufklärung“, auf. Seine Aufgabe
sieht er daher nicht nur darin, die chronisch knappen finanziellen Ressourcen des Forschungsfonds aufzubessern. Vielmehr will er für die Grundlagenforschung den Stellenwert in der Gesellschaft einfordern, den sie benötigt: „Wir laufen Gefahr, dass Wissenschaft verstärkt als großes Consulting-Unternehmen wahrgenommen wird, das für kurzfristigen unternehmerischen Erfolg sorgen soll oder bei Katastrophen und akuten Problemen zu Rate gezogen wird.“ Die Früchte der Grundlagenforschung für die Gesellschaft seien oft erst zeitverzögert zu sehen. „Zahlreiche
Studien zeigen, dass der mittelfristige ökonomische Mehrwert bei Grundlagenforschungsprojekten im Mittel größer ist als bei reiner Industrieforschung“, gibt Tockner zu bedenken.

Lücken in der Forschungsförderung

In der heutigen Förderlandschaft sieht Tockner zwei große Lücken: die Förderung der trans- und interdisziplinären Forschung und die Unterstützung von wirklich neuen, kreativen Ansätzen im Sinne einer Hochrisikoforschung. „Die Schwierigkeit bei interdisziplinären Projekten liegt darin, ihre Qualität zu beurteilen. Viele Gutachter sind von ihrer jeweiligen Disziplin geprägt und sagen nicht selten: Das Thema, das ich kenne, ist hier exzellent behandelt, aber das andere kann ich nicht beurteilen. “Vielen aktuellen Herausforderungen könne man aber nur disziplinen- und institutionenübergreifend begegnen. „Sonst versuchen wir ein Problem zu lösen und verstärken dabei ein anderes“, so Tockner. Zudem fehle es an der Generierung wirklich originärer Ideen. „Wir brauchen neue Formen, wie wir solche Projekte identifizieren können; eine Kultur, die Risiko und Scheitern mit einschließt“, ist Tockners Meinung: „Was besonders fehlt, ist kreative Zeit. Diese müsste man beantragen können.“ Den besonderen Wert des FWF, die Qualitätssicherung und Betonung der Exzellenz unabhängig von der fachlichen Disziplin, will Tockner kontinuierlich weiterentwickeln. Aber er sieht auch die Notwendigkeit eines verstärkt experimentellen Zugangs zum Thema Forschungsförderung. Auch das bewährte Peer-Review-Verfahren habe Grenzen, es könne bei zunehmender Anzahl an Förderanträgen zur Überforderung
der Beteiligten führen und die Qualität von Gutachten nicht immer sicherstellen. Gerade für interdisziplinäre Projekte müsse man sich neue Formen der Begutachtung überlegen. Ein Format, dem Tockner eine wachsende Bedeutung beimisst, sind sogenannte Synthese-Netzwerke: „Dabei geht es darum, Daten, die weit verstreut vorhanden sind, zu heben, öffentlich zugänglich zu machen und im Hinblick auf drängende wissenschaftliche und gesellschaftlicheFragestellungen auszuwerten.“ Die jüngst in einem Rechnungshofbericht geäußerte Kritik am Wildwuchs und an der Kleinteiligkeit der österreichischen Förderlandschaft will Tockner mit der Schaffung von Synergien zwischen verschiedenen Einrichtungen begegnen. So will man verstärkt mit den Förderstellen der Bundesländer zusammenarbeiten, andererseits soll es gemeinsame Programme mit Partnergesellschaften geben, wie sie heute schon mit der Christian-Doppler-Gesellschaft existieren. Synergien zwischen den Einrichtungen könnten nicht zuletzt den bürokratischen Aufwand reduzieren, den jetzt jede Fördereinrichtung für sich verursacht. „Der Brain Waste durch überbordende administrative Tätigkeiten ist genauso schlimm wie der Brain Drain (also die Abwanderung guter Leute ins Ausland, Anm.)“, konstatiert Tockner.


Nicht das tun, was alle tun

Nicht nur im Zuge solcher Kooperationen könnten auch thematische Schwerpunkte künftig eine größere Rolle spielen. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der FWF auch thematische Ausschreibungen macht. Zur Identifizierung solcher Themen braucht es aber einen Bottom-up-Prozess, das kann man nicht von oben vorgeben“, meint Tockner dazu. Man sollte dabei aber nicht auf das setzen, was ohnehin schon alle tun. Vielmehr sei der FWF dazu berufen, Vorreiter bei der Eröffnung neuer Themen zu sein, die jetzt noch keiner sieht. Insgesamt sieht Tockner einen Trend dazu, noch stärker Personen anstatt von Projekten zu fördern. „Das bedeutet, dass Forschungseinrichtungen eine ein besonders attraktives Forschungsumfeld entwickeln müssen, um die besten Leute zu gewinnen oder zu binden“, betont der
Wissenschaftler. Tockners Blick auf die österreichische Life-Sciences-Landschaft ist von seiner bisherigen Tätigkeit in der Gewässerökologie geprägt: „Es gibt in Österreich einige tolle Pflänzchen“, meint er und nennt beispielhaft Hochgebirgsforschung und Ökogeochemie, aber auch die molekularbiologische und sozialökologische Forschung. In der Medizin hält er den Ansatz „One Health“ für vielversprechend, der auch die Wechselwirkung des Menschen mit der Umwelt miteinbezieht

Original Kolumne 06/2016