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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Life-Sciences-Standort Tulln

on 23 June, 2016

Biowissenschaftliche Forschung findet nicht nur in den großen Universitätsstädten Wien, Graz,
Innsbruck und Linz statt. Am Campus Tulln ist ein aufstrebender Life-Sciences-Standort entstanden,
der sich vor allem in der Pilzforschung einen internationalen Namen gemacht hat.

 

Alles begann auf der sprichwörtlich grünen Wiese: Als Anfang der 90er-Jahre BOKU, Vetmed und TU Wien ein passendes Gelände für ein geplantes Interuniversitäres Forschungszentrum für Agrarbiotechnologie suchten, bot der damalige Tullner Bürgermeister Willi Stift ein gut geeignetes Grundstück für die erforderlichen Versuchsflächen und Stallungen an. 1994 gegründet, ist das IFA-Tulln heute ein Departement der BOKU und zur Keimzelle der international sichtbaren Entwicklung des Life-Sciences-Standorts geworden. Schon IFA-Gründer Peter Ruckenbauer brachte das Thema der Züchtung von Nutzpflanzen mit, die gegen den Befall durch Schimmelpilze resistent sind. Heute leitet Hermann Bürstmayr am IFA das Institut für Biotechnologie in der Pflanzenzüchtung, das sich vor allem auf dem Gebiet der resistenten Weizensorten einen Namen gemacht hat. Zur Verifizierung des Züchtungserfolgs wurde darüber hinaus ein Analytik-Zentrum aufgebaut, das heute unter der Leitung von Rudolf Krska – einem der weltweit meistzitierten Wissenschaftler in der Mykotoxinforschung – einen weltweiten Ruf genießt. Weitere Forschungsthemen am IFA sind die Nutzung mikrobieller undenzymatischer Prozesse in der Umweltbiotechnologie, die Verwertung molekularbiologischer Ergebnisse in der Tierproduktion sowie Materialien auf der Basis nachwachsender Rohstoffe.

Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Einer der Erfolgsmomente für den Standort Tulln war die Kooperation des IFA mit den Firmen der von Erich Erber gegründeten Erber Group, die vor kurzem als Firmenmitglied der ÖGMBT gewonnen werden konnte. Schon 1995 entdeckte das in Herzogenburg beheimatete Kernunternehmen Biomin, ein Pionier in der Beschäftigung mit dem Thema Mykotoxine in Futtermitteln, dass mit dem IFA-Tulln Mykotoxin- Kompetenz vor der eigenen Haustür aufgebaut wurde. Gemeinsam entwickelte man Mikroorganismen und Enzyme, die helfen, die Toxizität der Pilzgifte zu reduzieren, und betrieb mehrere CD-Labors auf diesem Gebiet. Nach der Übernahme des Unternehmens Romer Labs, das Test-Kits und Serviceleistungen auf dem Gebiet der Futter und Lebensmittelanalytik entwickelt, wurde der Sitz des neu gewonnenen Tochterunternehmens ebenfalls nach Tulln verlegt. Der Erfolg von IFA und Erber Group zog weitere Institutionen an. 2002 gründete die FH Wiener Neustadt eine Dependance am Standort Tulln und baute in enger Kooperation mit dem IFA Studiengänge auf dem Gebiet der Biotechnischen Verfahren auf. 2005 wurde von der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus das erste Objekt des Technologie- und Forschungszentrums Tulln (TFZ) errichtet, das nicht nur den nun in Tulln konzentrierten Forschungsaktivitäten der Erber Group, sondern auch einer ganzen Reihe anderer Unternehmen Platz bietet, die die Nähe zur akademischen Forschung
am Campus schätzen. Schließlich kam es mit der Fertigstellung des Universitäts- und Forschungszentrums Tulln (UFT) zum bisher größten Erweiterungsschritt des Life-Sciences-Standorts Tulln: Ca. 150 BOKU-Forscher aus sechs verschiedenen Departments sowie 80 Mitarbeiter des Austrian Institute of Technology brachten Forschungsthemen rund um Bioressourcen, nachwachsende Rohstoffe und Umweltbiotechnologie mit nach Tulln.

Hot Spot der Mikrobenforschung

Ein besonderer Schwerpunkt ist in Tulln auf dem Gebiet der Mikrobiologie der Pilze entstanden. In der Erforschung der Wechselwirkung zwischen Pilz-Pathogenen und ihren Wirten hat man beispielsweise den vom FWF finanzierten Spezialforschungsbereich Fusarium(eine der wichtigsten Schimmelpilzgattungen) unter der Leitung von Gerhard Adam (BOKU-Department für Angewandte Genetik und Zellbiologie) etablieren können. Der SFB verbindet Forschungsan-sätze auf Genom-, Transkriptom- und Metabolom-Ebene miteinander. Daneben gibt es aber auch einen starken Fokus auf die „nützliche Seite“ der Mikroorganismen. So forscht ÖGMBT-Präsidentin Angela Sessitsch (Leiterin des Geschäftsfelds Bioresources am AIT) an endophytisch
lebenden Bakterien, die das Wachstum einer Wirtspflanze erhöhen und sie widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten und schwierigen Umweltbedingungen machen können. Monika Schmoll erforscht am AIT die Genregulation von Trichoderma, einem Pilz, der biotechnologisch stark genutzt wird. Siegrid Steinkellner von der Abteilung für Pflanzenschutz der BOKU untersucht die sogenannte Mykorrhiza, eine besondere Form der Symbiose, bei der ein Pilz in engem Kontakt mit dem Feinwurzelsystem einer Pflanze lebt. In der Arbeitsgruppe von Joseph Strauss, der sowohl am AIT als auch an der BOKU wirkt, wurden epigenetische Schalter entdeckt, mit denen in Pilzen die Produktion von sekundären Stoffwechselprodukten stillgelegt und wieder aktiviert werden können.

 

Original Kolumne 04/2015